Menschen, die Arbeit suchen, müssen potenziellen Arbeitgebern stets einen gewissen Vertrauensvorschuss einräumen. Umgangssprachlich würde man am ehesten davon sprechen, dass es erforderlich ist, „die Hosen runterzulassen“, um einen Job zu bekommen. Langjährige Gefängnisaufenthalte können im Lebenslauf zwar zunächst noch durch euphemistische Umschreibungen wie „Fernstudium“ (Empfehlung aus dem Netz) etwas entschärft werden, aber im Allgemeinen ist der „Ehrlichkeitsdruck“ hoch, weil bei einer Lüge das Risiko besteht, dass man zu einem Nachweis aufgefordert wird und die Sache auffliegt. Auf sozialen Netzwerken wie LinkedIn oder XING, die sich auf die berufliche Online-Identität spezialisiert haben, geht es eher um Selbstdarstellung und weniger um authentische Karriereverläufe. Verbindlichkeit wird nicht unbedingt erwartet.
Aus einem Lebenslauf in einem Bewerbungskontext lässt sich eine Menge ablesen: Kontaktdaten, Qualifikationen, sozialer Hintergrund, Bildungsstand, persönliche Interessen und Charaktereigenschaften wie Offenheit, Gewissenhaftigkeit oder Extraversion. Wer zum Beispiel schon mal als Stand-up-Comedian gearbeitet hat, ist höchstwahrscheinlich eher extravertiert und wer seit 12 Jahren in seinem Ausbildungsbetrieb in der Buchhaltung tätig ist, ist vermutlich ziemlich gewissenhaft. Arbeits- und Schulzeugnisse liefern zusätzliche Informationen, die dazu beitragen können, ein detailliertes Persönlichkeitsprofil zu erstellen. Dass derart sensible Daten nicht nur für Arbeitgeber interessant sind, versteht sich eigentlich von selbst.

DATENDEALER MISSBRAUCHEN STAATLICHE EINRICHTUNG

Die Jobbörse der Bundesagentur für Arbeit (BA) ist eine feine Sache. Das Onlineportal stellt eine aktuelle Übersicht zu ausgeschriebenen Arbeitsplätzen bereit, die für Arbeitssuchende von Interesse sind. Erstaunlich häufig bieten Firmen eine Vielzahl unterschiedlichster Stellen an, auf die man sich mit Lebenslauf und Zeugnissen direkt bewerben kann. Reporter des SWR haben in der vergangenen Woche herausgefunden, dass oftmals Datenhändler hinter derartigen Ausschreibungen stecken. Diese stellen tausende Jobangebote online, die gar nicht wirklich existieren, sondern lediglich Datensätze generieren sollen, die wiederum weiterverkauft werden – natürlich ohne Wissen, geschweige denn Einverständnis, der Arbeitssuchenden.
Johann S., ein Datenhändler aus Berlin, hat fünf Firmen, die Daten sammeln und weiterverkaufen. Abnehmer sind vor allem Zeitarbeitsfirmen, die drei Euro pro Datensatz bezahlen oder eine praktische Flatrate buchen können, die den Zugriff auf tausende Datensätze ermöglicht. Wem bei der Vorstellung, Post von jemandem zu bekommen, bei dem man sich gar nicht beworben hat, die Haare zu Berge stehen, sollte sich bewusst machen, dass die SWR-Reporter an die Daten kommen konnten, obwohl sie gar kein Unternehmen haben. Tja, selbstverständlich können auch Personen, die überhaupt keine potenziellen Arbeitgeber sind und dies lediglich behaupten, Datensätze von Arbeitssuchenden kaufen. Gegen geringes Geld kann zum Beispiel ein Perversling persönliche Dokumente von Frauen erwerben – mit Adresse, Foto, Werdegang und Zeugnissen. Das geht über den „klassischen“ Adresshandel weit hinaus.
Inserate von Stellen, die gar nicht wirklich existieren, spielen nicht nur in diesem Zusammenhang eine Rolle. Manche Unternehmen bieten auch „Fakejobs“ an, um ihren Marktwert zu checken. Leider werfen derartige Praktiken auch ein schlechtes Licht auf Firmen, die wirklich auf der Suche nach Arbeitskräften sind.
Die Bundesagentur für Arbeit gibt an, ihr würden keine Hinweise auf eine missbräuchliche Nutzung ihrer Plattform durch Datenhändler vorliegen, allerdings wird eingeräumt, dass bei „der Vielzahl an Stellenangeboten nicht vollständig ausgeschlossen werden [könne], dass einzelne Stellenangebote gefälscht oder fingiert“ seien. Wirklich beruhigend klingt das ja nicht gerade…
Das Problem ist nicht neu. Bereits seit 2009 ist bekannt, dass Datenhändler die Jobbörse nutzen. Okay, das sind gerade mal 10 Jahre, aber langsam könnte da doch was gemacht werden, alleine schon, um das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitssuchenden und potenziellen Arbeitgebern sowie der Bundesagentur für Arbeit wiederherzustellen.

MASSENDATENHALTUNG AUS DATENWIRTSCHAFTLICHEN BETRIEBEN

Daten werden oft als „Gold des 21. Jahrhunderts“ bezeichnet. Doch ein einzelner Datensatz hat in der Regel kaum einen Wert (außer man ist Stalker und das Opfer ist gerade umgezogen). „Es wird Zeit, dass man für seine Daten Geld bekommt“, fordert der User Superdemokrat in einem Kommentar auf tagesschau.de. Es wäre ja schön, wenn ich von meiner Zahnärztin drei Euro verlangen könnte, weil ich ihr meine Daten überlasse, aber ohne diese Informationen könnte sie auch nicht dafür sorgen, dass meine Zähne noch hundert Jahre halten… Das sollte bei der ganzen Datendiskussion nicht vergessen werden. Es ist ein Deal, den wir eingehen: Daten gegen Dienstleistung. Und Daten sind wirtschaftlich erst dann interessant, wenn sie in Massen vorhanden sind. Ein auf Datensammlung basierendes Geschäftsmodell generiert erst dann Gewinne, wenn Big Data, also große Mengen ins Spiel kommen. Ein Bauer kann schließlich auch nicht nur von einem einzelnen Huhn leben…
Im Zusammenhang mit den Adresshändlern im Arbeitsmarktbereich besteht das Problem vor allem darin, dass ein Dritter unzulässig sensible Daten sammelt und ohne Einverständnis weitergibt. Dadurch wird der Mensch zur mehr oder weniger wertvollen Ware. Und das können wir unmöglich wollen. Stefan Brink, der Datenschutzbeauftragte von Baden-Württemberg, will nun gegen die Datendealer vorgehen und hält Bußgelder in Höhe von bis zu 20.000.000 Euro für möglich. Da müssten die Datenhändler schon einen verdammt guten Job finden, um diese Strafe abbezahlen zu können.

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