Facebook verbietet Software, die den Feed leert

Es ist ja so: Der Mensch ist von Natur aus neugierig. Leute, die regelmäßig auf Clickbaiting reinfallen oder schon mal einen dubiosen Mailanhang geöffnet haben, weil die Neugierde nun mal so gezwickt hat, können ein Liedchen davon singen. Kaum setzt man sich dem Internet aus, sind vier Stunden vergangen. Das passiert übrigens nur vergleichsweise wenigen Leuten mit Büchern…
Vor allem soziale Netzwerke sind Zeiträuber, die hochgradig suchterzeugend sein können. Trotzdem haben sie Vorteile etwa den, mit Menschen, die man kennt, in Kontakt bleiben zu können. Zudem kommen sie dem menschlichen Bedürfnis, mal zu gucken, was im Leben der Mitmenschen so los ist, entgegen. Aber eigentlich wollen wir das nicht immer wissen, sondern nur dann, wenn es uns interessiert und wir selbst nachgucken können.
Ich möchte im realen Leben auch nicht von jedem immer alles ungefragt erzählt bekommen. Ich möchte selbst nachfragen können, um zu filtern, weil „too much information“ den Kanal sehr schnell volllaufen lässt. Soziale Netzwerke funktionieren aber genau so. Würde jeder nur für sich notieren, was in seinem Leben so passiert, aber kaum jemand Notiz davon nehmen, wäre das verdammt frustrierend, weil wir dann merken würden, dass sich kein Schwein für uns interessiert. Mit Hilfe der sozialen Netzwerke wird uns suggeriert, dass wir gesehen werden und in Form von Likes auch Anerkennung finden. Was für eine herrliche Ersatzbefriedigung! Jeder kann kurz ein Star sein. Dass wir diese Aufmerksamkeit geschenkt bekommen, dafür sorgt Facebook. Natürlich machen die das nicht aus reiner Menschenfreundlichkeit, sondern für Geld, das sie durch Werbung generieren. Und so konsumieren wir das Leben der Anderen und Werbung und sind irgendwie glücklich dabei. Oder doch eher nicht… Na, zumindest langweilen wir uns nicht, weil so viele unserer Bedürfnisse erfüllt werden. Während ich im echten Leben eine Leistung erbringen müsste, um dafür eine Anerkennung zu erhalten, reicht auf Facebook ein Foto meines Essens. Das ist einfach und geht schnell.
Der Facebook-Feed ist folglich das Herz des sozialen Netzwerks. Es geht um den niemals abreißenden Neuigkeitenstrom, der uns überflutet – das nennt sich dann Sucht und kostet Lebenszeit, die uns keiner zurückgibt. Im vergangenen Jahr stellte der Brite Louis Barclay fest, dass es möglich war, den Strom einzudämmen oder ganz zum Versiegen zu bringen. Er hatte selbst gemerkt, dass er die Kontrolle über sein Online-Verhalten verloren hatte. Ständig musste er gucken, was sich in der bunten Netzwelt tat, bis er herausfand, dass es möglich war, den Strom in gewünschte Bahnen zu lenken: Seiten, Gruppen und Personen können deabonniert werden. Was für eine großartige digitale Detox-Maßnahme! All unsere Freunde und Bekannten sind dann zwar noch da, aber sie brabbeln nicht unkontrolliert die ganze Zeit vor sich hin, sondern sitzen still in einer Ecke und warten darauf, dass wir ihnen unsere Aufmerksamkeit schenken. Und dann kam Barclay auf die glorreiche Idee, eine Software zu entwickeln, die die lästige Arbeit, alles einzeln zu deabonnieren, automatisierte. „Unfollow me“ war geboren und fand reißenden Absatz. Endlich war es möglich, das ständige Rauschen zum Schweigen zu bringen! Soziale Netzwerke wurden ihrem Namen plötzlich gerecht. Es sollte nur noch um die Vernetzung gehen und nicht mehr um Belanglosigkeiten, die keinen interessierten. Was kümmert es mich, welches Bier Thomas gerade trinkt oder welche Fingernagelfarbe Anna zur Zeit hat? Das Ding ist: Gäbe es die sozialen Netzwerke nicht, würden wir das auch nicht jedem auf die Nase binden. Dann wären wir sehr viel datensparsamer unterwegs! Aber wer in sozialen Netzwerken datensparsam unterwegs ist, der hat doch bestimmt was zu verbergen oder ein schrecklich langweiliges Leben… Und schon stecken wir in der Zwickmühle, beziehungsweise mitten im Feed der Belanglosigkeiten.
„Unfollow me“ sollte also Abhilfe schaffen und den Feed komplett leeren. Tabula rasa, absolute Stille, ein perfekt glatter See, ein vollkommen weißes Blatt – die Sehnsucht der Minimalisten schien endlich gestillt zu werden. Aber das wollte Facebook natürlich nicht, weil dies das Geschäftsmodell des Unternehmens gefährdete. Die Nutzer:innen sollen schließlich möglichst lange auf der Seite bleiben und schön viel Werbung zu sehen bekommen.
Das Unternehmen ging gegen Barclay vor. Und der hatte dem Giganten nicht viel entgegenzusetzen. Er selbst wurde übrigens lebenslänglich von Facebook ausgesperrt. Nun bleibt den Nutzer:innen nichts mehr anderes übrig, als wieder alles „von Hand“ zu machen und Seiten, Personen und Gruppen einzeln zu entfolgen. Das fühlt sich natürlich auch nicht so gut an. Aber was tut man nicht alles für das persönliche Wohlbefinden! Die Universität Neuchâtel hat sogar ein Forschungsprojekt gestartet, in dessen Rahmen der Einfluss des Newsfeeds auf das Befinden der User:innen untersucht wird. Und natürlich hat sich gezeigt, dass ein voller Feed unglücklich macht. So viele Daten können wir gar nicht verarbeiten. Wir würden es gerne können, weil es einfach auch ein großer Spaß ist. So wie zwei Liter Sangria…

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