Was mit unseren Daten passiert, wenn wir tot sind

Es ist ja so: Wir leben nicht nur in der Zeit der Digitalisierung, wir sterben auch in ihr. 2021 hinterließen 50 Prozent aller Verstorbenen einen digitalen Account. Bei einer Umfrage gaben 83% der befragten Personen an, den Nachlass ihrer Social-Media-Accounts noch nicht geregelt zu haben. 13% erklärten, dass sie dies teilweise getan hätten und nur 4% haben sich bereits darum gekümmert. Dabei sterben wir alle mal – nicht nur 4% von uns.
Gerade bei jüngeren Menschen rechnen wir nicht mit ihrem plötzlichen Ableben. Der Tod ist immer noch ein Tabuthema. Aber Tabus führen auch häufig zu Problemen, zum Beispiel im rechtlichen Bereich. 2016 nahm sich ein Mädchen das Leben. Die Mutter der Toten wollte Zugriff auf die Facebook-Daten ihrer Tochter haben, um nachvollziehen zu können, wie es ihrer Tochter während ihrer letzten Lebenstage ergangen war. Facebook weigerte sich. Das Konto der Verstorbenen war bereits in den Gedenkmodus versetzt worden. Die Mutter klagte und Facebook händigte ihr die Daten des Mädchens schließlich in digitaler Form aus. Doch damit gab sich die Mutter nicht zufrieden. Sie wollte auf das Konto zugreifen und das Profil ihrer Tochter aus deren Sicht sehen können. Das Urteil besagte, dass Facebook Erben Zugriff auf das Konto gewähren muss – aber lediglich in passivem Zustand, so dass keine neuen Einträge mehr möglich sind.
Das Erbrecht steht über dem Persönlichkeitsrecht – Daten gehen auf Erben über. Wer nicht möchte, dass dies der Fall ist oder sich wünscht, dass nur bestimmte Personen Zugriff auf die Daten bekommen, muss das testamentarisch festlegen. Auch das Einsetzen eines Testamentsvollstreckers, der regelt, dass z.B. bestimmte Daten gelöscht oder ausgewählte Dinge geteilt werden, ist möglich.
Natürlich muss man sich auch als Erbe fragen: Will ich das alles überhaupt wissen? Als Toter braucht man sich im Grunde genommen keinen Kopf mehr zu machen. Man hat ja auch gar keinen mehr…
Aber solange wir noch am Leben sind, können wir uns Gedanken zum Thema machen. Vielleicht in der besinnlichen Vorweihnachtszeit, nach zwei oder drei Bechern Glühwein. Dann denkt es sich gleich viel gelöster über den Tod nach.
Facebook zum Beispiel macht es uns recht leicht. Wir können die Einstellungen für den Gedenkzustand so anpassen, wie wir es möchten, einen Nachlasskontakt hinterlegen oder die Löschung der Daten nach unserem Ableben veranlassen. Wir können festlegen, wie das Gedenkprofil aussehen soll, ob Trauerbeiträge gepostet werden dürfen u.v.m. Sobald Facebook dann von unserem Tod erfährt, wird alles in die Wege geleitet. Ich habe bereits drei Tote auf meiner Facebook-Freundesliste – aber nur ein Konto ist im Gedenkzustand. Die beiden anderen Accounts könnten auch Lebenden gehören. Dass ihre Besitzer tot sind merkt man lediglich an den Nachrichten von Freunden anlässlich der Geburts- und Todestage.
Mittlerweile haben auch viele Bestattungsunternehmen die Regelung des digitalen Nachlasses im Angebot. Der Umgang mit Daten von Verstorbenen wird zusehends professionalisiert, der Totengräber ist im 21. Jahrhundert angekommen.
Bisher gibt es nur wenige Studien, die sich mit dem Thema „Tod und Social Media“ beschäftigen. Angesichts der Rolle, die soziale Medien in unserem Leben spielen – sie stellen bei vielen Menschen mittlerweile ganz klar eine Erweiterung der Persönlichkeit dar – ziemlich erstaunlich. Die vorhandenen Erhebungen stellen alle fest, dass Social Media den Umgang mit dem Tod verändert hat. In einer britischen Studie gaben 25% der Hinterbliebenen an, dass sie Trost beim Betrachten des Social-Media-Profils der verstorbenen Person empfinden würden – jüngere Menschen noch mehr als ältere. Was früher das Fotoalbum war, ist heute das Online-Profil.
Der Soziologe Lorenz Widmaier, der zum Thema Trauer in der digitalen Gesellschaft promoviert, befragte hunderte Menschen zum Umgang mit dem Tod in Zeiten der Digitalisierung. Der Gegenstand, der am häufigsten aufbewahrt wird, ist das Smartphone des Verstorbenen. Dabei wollen zum Beispiel Ehepaare gar nicht unbedingt auf die Daten zugreifen – das Mobiltelefon ist aber ein Gegenstand, der so sehr mit einer Person verbunden ist, das wir ihn als Teil dieses Menschen wahrnehmen. Immerhin tragen wir unser Smartphone fast immer bei uns, nutzen es zur Kommunikation, um damit Fotos zu machen u.v.m.
Viel interessanter als mehr oder weniger öffentlich gepostete Beiträge, die von Anfang an für eine größere Zielgruppe bestimmt waren und in der Regel mehrere Filter durchlaufen, bevor wir mit der Darstellung unserer Person zufrieden sind, sind private Nachrichten, die wir über diverse Messenger versenden. Sie bilden Facetten und Fragmente eines Lebens ab, die sehr persönlich sein können. Vor allem im Zusammenhang mit diesen Privatnachrichten, etwa aus WhatsApp-Chats, müssen wir uns die Frage stellen: Möchte ich, dass Dritte Zugriff darauf haben? Und wenn ja, wer?
In Lorenz Widmaiers Studie gaben übrigens viele Hinterbliebene an, noch mit der verstorbenen Person zu chatten, auch wenn keine Antworten mehr kämen. Sprachnachrichten von Verstorbenen sind ebenfalls eine wichtige Quelle, um sich an den Menschen zu erinnern. Manche drucken auch WhatsApp-Chats aus und bringen sie in einem Einsteckalbum unter, weil sie befürchten, dass ihnen der digitale Dialog einmal abhandenkommen könnte.
Social Media macht den Tod viel greifbarer. Wir fühlen uns einem Menschen, den wir auch noch nach seinem Tod in so vielen Alltagssituationen beobachten können, sehr viel verbundener als jemandem, von dem wir uns kein Bild mehr machen können. Noch nie haben wir so viele Nachrichtenverläufe hinterlassen. Wenn wir sterben, bleiben unsere Daten zurück. Unsere Posts und Privatnachrichten -und dann gibt es natürlich auch noch Google und unsere Suchhistorie. Dieses Unternehmen merkt übrigens recht schnell, dass wir gestorben sind… Aber das ist eine andere Geschichte und soll ein andermal erzählt werden.

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