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„DER VERSTAND KEHRT ZURÜCK, DOCH DU SETZT IHN NICHT EIN“ – KANN DIE LUCA-APP HALTEN, WAS SIE VERSPRICHT?

Es ist ja so: Wer in einer Notsituation steckt, fällt sehr viel leichter dahergelaufenen Glücksrittern in die Hände. Das Ding ist: Glücksritter kommen einfach cooler rüber als – na sagen wir mal: der Vorstand eines Kleingartenvereins. Die Corona-Warnapp ist ein bisschen wie der Kleingartenverein unter den digitalen Pandemiebekämpfungstools. Sie wirkt hochoffiziell, es gibt zahlreiche Regeln und Statuten und Kram zum Durchlesen, den dann doch keiner liest. Am besten wäre es sowieso, Code lesen und verstehen zu können, um dazu in der Lage zu sein, wirklich mitzureden. Mittlerweile hat sich die Corona-Warnapp fest etabliert, aber der Fun-Faktor, der ist zugegebenermaßen eher dürftig. Zu einem Zeitpunkt, an dem wir uns immer stärker nach unserem alten Leben mit Restaurantbesuchen, Konzerten, Sportveranstaltungen und anderen Events zurücksehen, trat dann plötzlich eine stylische App auf den Plan, quasi der Hiphopper unter den digitalen Pandemiebekämpfungstools: Luca! Vom abgehalfterten 90er-Hiphop-Star Smudo, der mit seinem Realnamen, Michael Schmidt, auch gut Kleingärtner sein könnte, mit dem Slogan „Gemeinsam das Leben erleben!“ beworben, erscheint die Luca-App einfach besser abgestimmt auf unsere gegenwärtigen Bedürfnisse.
Wer zu lange in einem Alarmzustand verharrt, wird gleichgültig oder verrückt. In einer Pandemiesituation ist zugegebenermaßen beides blöd. Wir wollen endlich wieder zurück zur Normalität und müssen dabei aufpassen, nicht in eine Falle zu tappen, die Smudo vor 28 Jahren in „Tag am Meer“ besungen hat: „Der Verstand kehrt zurück, doch du setzt ihn nicht ein“. Wenn wir uns etwas sehr stark wünschen, neigen wir dazu, unkritisch zu werden.
Die Luca-App verspricht uns Sicherheit und Spaß gleichzeitig. Wir sollen, sobald es wieder erlaubt ist, Events beiwohnen und in Locations einchecken können. Das klingt definitiv cooler als die Analyse von Risikobegegnungen und Ansteckungswahrscheinlichkeiten bei Alltagskontakten. Das Storytelling der Corona-Warnapp basiert auf Vermeidung, das der Luca-App auf der Eröffnung von Möglichkeiten. Die Corona-Warnapp hat zwar gerade mit einer Version, die ebenfalls eine „Check-in“-Funktion umfasst, nachgezogen, aber hey – Naaaachmacher!
Mittlerweile sind alle bayerischen Gesundheitsämter an das System der Luca-App angebunden. Sobald Restaurants wieder öffnen dürfen, wird also die coronakonforme Gästeregistrierung möglich sein – und natürlich auch die Kontaktpersonennachverfolgung. Luca baut dabei nicht so sehr auf das Verantwortungsgefühl der Nutzer, wie das bei der Corona-Warnapp der Fall ist. Durch das Luca-App-System werden den Gesundheitsämtern die konkreten Kontaktdaten von Personen mit Risikokontakten zur Verfügung gestellt, bei der Corona-Warnapp geschieht dies nicht – hier müssen sich Menschen mit einem hohen Infektionsrisiko selbstverantwortlich in Quarantäne begeben und testen lassen. Luca konzentriert sich auf Cluster-Erkennung, also auf Events, bei denen mehrere Personen zusammenkommen, die Corona-Warnapp auf Alltagsbegegnungen, zum Beispiel den Infizierten, der auf dem Weg zur Arbeit im Bus hinter uns sitzt. Aber mal ehrlich: Ist Corona von einem, der fröhlich tanzt oder seine Pizza verdrückt ungefährlicher als von einem, der auf dem Weg zur Arbeit in unserer Nähe sitzt?
Mittlerweile ist bereits vielfach Kritik an der Luca-App laut geworden. Insbesondere die Sicherheitslücke bei der Nutzung der Schlüsselanhänger sorgte für Aufsehen. Aufgrund einer Schwachstelle war es möglich, auszulesen, wann sich eine Person wo aufgehalten hat. Beinahe täglich kamen weitere Kritikpunkte hinzu: Das Unternehmen setzt auf Intransparenz und das „Security through obscurity“-Prinzip (der Code geht keinen was an!), das allerdings als ausgesprochen umstritten gilt. Auch die Zentralität der Datenspeicherung, die Möglichkeit der De-Anonymisierung, Mängel im Bereich der Verschlüsselung, mangelnde Kompatibilität sowie Missbrauchsmöglichkeiten wurden scharf kritisiert. Nachdem Jan Böhmermann sich mit falschen Kontaktdaten angemeldet und mit Hilfe eines generierten QR-Codes, den er auf seinem Twitteraccount veröffentlicht hatte, ein virtuelles Cluster im Osnabrücker Zoo erzeugt hatte, reagierte Geschäftsführer Patrick Hennig mit Whataboutism: Er könne Böhmermann zehn andere Systeme nennen, bei denen noch schlimmerer Missbrauch möglich wäre. Ja, schön! Das ist so, wie wenn ich eine Fünf bekommen habe und dann sage: „Ich kenn aber vier Leute, die eine Sechs haben!“ Das macht meine Fünf auch nicht besser und ich muss mich auf meinen Hosenboden setzen, um das wieder hinzukriegen. Jemand, der für eine App verantwortlich ist, bei der außerordentlich sensible Daten verarbeitet werden, sollte eine Software mit derart massiven Mängeln einfach noch nicht auf den Markt bringen.
Gelohnt hat sich Luca jetzt schon für seine Macher. Über 20 Millionen Euro Lizenzgebühren (für ein Jahr!) haben 13 Bundesländer mittlerweile hingeblättert (Stand: 12. April 2021). Als der Bund 20 Millionen Euro in die Corona-Warnapp gebuttert hat, standen angesichts dieses Mondpreises vielen in der Softwarebranche schon die Haare zu Berge. Aber Luca kann das toppen! Den Verantwortlichen in der Politik könnte man im Moment vermutlich auch einen Corona-Virenscanner für ein paar Millionen verkaufen. Eine App, die zuverlässig „scannt“, ob jemand erkrankt ist und den Virus innerhalb von 14 Tagen garantiert entfernt. Na, wär‘ das was? Jetzt müsste sich nur noch ein Rapper finden, der das Ganze promotet und nicht schon komplett abgehalftert ist. Kollegah würde passen.

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