Es ist ja so: Wenn wir im Haus Sicherheitssysteme einbauen – zum Beispiel eine Tür mit sicherem Schloss – damit wir uns geschützter fühlen können, ist es durchaus möglich, dass wir uns auch mal darüber ärgern. Zum Beispiel dann, wenn wir den Schlüssel vergessen haben und selbst nicht ins Haus kommen. Das ist zwar blöd, aber dafür können die Sicherheitssysteme nix. Im Gegenteil: Sie sind sehr sinnvoll und tun das, was wir von ihnen erwarten. Darauf verzichten, weil sie eben tun, wofür sie da sind, sollten wir nicht. Da wären wir ganz schön blöd.
Im Frühjahr 2021 erschien ein Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi), das den Titel trug: „Digitalisierung in Deutschland – Lehren aus der Corona-Krise“. Darin wird auf mehr oder weniger drastische Weise beschrieben, wie weit hinterm Mond wir in puncto Digitalisierung eigentlich leben (Spoiler: sehr weit!), was prinzipiell ja auch stimmt. Nur wird als Grund eben auch folgender angeführt: „Schließlich spielen auch juristische und bürokratische Hemmnisse eine wichtige Rolle im Prozess der Digitalisierung. Der Datenschutz wird in Deutschland oft als ein Wert angesehen, der in der Abwägung mit anderen Rechtsgütern absolute Priorität genießt. Das hat die Nutzung digitaler Möglichkeiten während der Corona-Krise stark eingeschränkt, wie die Corona-Warn-App und die sich immer weiter verzögernde elektronische Patientenakte gezeigt haben.“ (S. 3f.)
So eine Frechheit aber auch! Ein Grundrecht, das u.a. in Artikel 8 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Schutz personenbezogener Daten) geregelt ist, kann wirklich nervig sein. Mit so einem juristischen Quatsch braucht einem doch bei der Entwicklung von Software, die Gesundheitsdaten verarbeitet, echt keiner ankommen.
Die Frage, die in diesem Fall eine Pandemie in den Raum gestellt hat – so wie es auch schon der Terrorismus und andere Bedrohungen der Gesellschaft getan haben – lautet: Wie organisieren wir in Zukunft unsere Gesellschaft, um diesen Gefahren begegnen zu können? Wir sind von verschiedenen Dingen bedroht, doch diese Bedrohungen können unsere Demokratie nicht zerstören – das können nur wir selbst, indem wir zum Beispiel Grundrechte einschränken, wenn dies gar nicht unbedingt erforderlich ist. Es mag umständlicher und für einige Seiten unangenehmer sein, ein Freiheitsrecht wie den Datenschutz zu wahren – aber dieses Grundrecht immer weiter aufzuweichen, ist ebenfalls eine Gefahr. Hinzu kommt, dass es gar nicht wirklich eine Lösung darstellen würde, den Datenschutz in Krisenzeiten hintanzustellen. Vereinfacht gesagt: Weniger Datenschutz stoppt das Virus nicht, genauso wenig wie eine engmaschigere Überwachung Terrorismus verhindert. Wir wünschen uns immer Garantien, aber die gibt’s nun mal kaum – den Spruch mit dem Tod spar ich mir jetzt mal.
Die Ursache für das „Organisationsversagen“ bei der Digitalisierung jetzt u.a. beim Datenschutz zu suchen, ist ziemlich schäbig. Ein grundlegendes Freiheitsrecht kann nichts für die Verschnarchtheit der Institutionen. Aber es ist nun mal ein schöner Sündenbock. Natürlich hätten es einige Interessengruppen leichter, wenn der Datenschutz aufgeweicht würde, für die Mehrheit wäre es aber fatal.
Der Datenschutzbeauftragte Ulrich Kelber hat auch entsprechend angesäuert auf das Regierungsgutachten reagiert. Er hält es für „schlicht falsch“ und „an relevanten Stellen teilweise irreführend formuliert“. Wenn wir die Realität sprechen lassen, stellen wir schnell fest, dass der Datenschutz im vergangenen Jahr keineswegs „absolute Priorität“ genossen hat. Die in Restaurants ausliegenden Gästelisten, zahlreiche Datenpannen bei der Erfassung von Testergebnissen und viele andere Zwischenfälle haben eher das Gegenteil gezeigt. Was allerdings im Coronajahr 2020 deutlich wurde, war, dass der Datenschutz immer ein prima Sündenbock ist. Fleischonkel Tönnies redete sich noch damit raus, dass der Datenschutz schuld daran sei, dass offenbar kein Mensch eine Ahnung davon hatte, wer in den dubiosen Subunternehmen, die er selbst betreibt, beschäftigt war. Der Datenschutz ist immer eine prima Entschuldigung. Wie der Hund, der die Hausaufgaben gefressen hat. Was will man da schon machen? Wenn das so weitergeht, werden wir uns im 22. Jahrhundert für unsere eigene Tutigkeit mit den Worten entschuldigen: „Mir ist ein Liter Datenschutz über meine Zukunftspläne gelaufen!“
Mal ehrlich: Solange wir immer noch nicht begriffen haben, was Datenschutz eigentlich bedeutet, dass er ein Freiheitsrecht ist, das im 21. Jahrhundert dringend notwendig ist, um Bürger:innen zu schützen, können wir ihn offenbar nicht ernst nehmen. Und das ist ein Problem – nicht der Datenschutz selbst.
Solange wir es zulassen, dass Stimmung mit Geschichten gemacht werden kann, in denen uns zum Beispiel erzählt wird, dass der Datenschutz verhindert habe, Impfinformationen an impfberechtigte Bürger:innen zu verschicken, haben wir ein Problem. Im Falle der Versendung von Impfinformationen waren es landesrechtliche Regelungen, die im Wege standen, aber natürlich wurde von mehreren Seiten reflexhaft behauptet, dass es der Datenschutz sei, denn irgendwas mit Daten und Hemmnis – das muss doch schließlich der Datenschutz sein! Es ist einfach eine so schöne und altbekannte Geschichte, mit der fast jeder etwas anfangen kann.

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