Es ist ja so: Wenn eine Sache komplizierter wird, muss eine größere Anstrengung unternommen werden, um das Ganze zu verstehen und umzusetzen. Nehmen wir mal an, in einer Gesellschaft gäbe es eine gravierende gesetzliche Grauzone. Eltern dürften ihre Kinder züchtigen, um den eigenen Willen durchzusetzen. Es ist ja noch nicht wirklich lange her, dass das wirklich der Fall war – das letzte Recht zur körperlichen Züchtigung durch Eltern wurde in Deutschland erst im Jahr 2000 abgeschafft. Nehmen wir an, es würde eine neue gesetzliche Regelung vereinbart, die besagt, dass Gewalt in der Erziehung fortan geächtet wird. Was würde dann passieren? Würden in einer Gesellschaft, in der es bislang nicht unüblich war, Kinder zu schlagen, plötzlich alle damit aufhören, weil es ein neues Gesetz gäbe? Leider nein. Es gibt auch in Deutschland immer noch Menschen, die ihre Kinder schlagen. Aber zum Glück gibt es auch Instanzen, die sich darum kümmern, dass Kinder gewaltfrei aufwachsen können, denn ein gewaltfreies Leben ist ein Menschenrecht. Stellen wir uns nun vor, Vertreter der Politik würden jetzt ankommen und sagen: „Hmmm, das ist aber ganz schön stressig für viele Eltern, wenn sie ihre Kinder plötzlich nicht mehr züchtigen dürfen! Es haben sich auch schon ganz viele deswegen beschwert und auch in den Medien liest man immer wieder davon, dass die neue Regelung für gestresste Eltern unzumutbar wäre. Da müssen wir was machen! Idee: Dieses Jugendamt sollte sich erst ab dem zweiten Kind darum kümmern, dass die Kinder gewaltfrei aufwachsen können. Bei nur einem Kind könnte man doch eigentlich Fünfe grade sein lassen! Machen wir’s doch einfach so, dass erst ab mindestens zwei Kindern genauer hingeschaut wird. Also, Kinder zu schlagen ist natürlich weiterhin generell verboten, aber überprüfen muss das ja keiner, sonst ist das ganz schön viel Druck für gestresste Ersteltern!“
Das wäre doch völlig irre, unvorstellbar und auf keinen Fall gutzuheißen. Ein Politiker, der einen derartigen Vorschlag unterbreiten würde, würde politischen Selbstmord begehen. Natürlich ist das ein provokantes Beispiel, aber es soll verdeutlichen, dass Instanzen, die dafür einstehen, Menschenrechte zu schützen, enorm wichtig sind. Das Jugendamt kümmert sich – neben den Strafverfolgungsbehörden – darum, dass Kinder geschützt und Eltern bei einer gewaltfreien Erziehung unterstützt werden. Die Rolle des Jugendamtes zu schmälern würde bedeuten, dass auch die Rolle des Rechts auf gewaltfreie Erziehung geschmälert würde.

INFORMATIONELLE SELBSTBESTIMMUNG ALS BÜRGERRECHT

Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist ein Bürgerrecht, das dafür sorgt, dass Menschen frei und selbstbestimmt ihre Persönlichkeit entfalten können, ohne befürchten zu müssen, dass ihnen dadurch Nachteile entstehen. Es ist u.a. in Artikel 8 der EU-Grundrechtecharta („Schutz personenbezogener Daten“) und in Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention („Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz.“) verankert. Informationelle Selbstbestimmung ist also kein „Pillepalle-Recht“, sondern ein wichtiger Indikator für ein freiheitlich demokratisches Gemeinwesen. Wer dieses Recht beschneiden möchte, hat einige Dinge nicht begriffen.
Seit 1977 gibt es den Datenschutzbeauftragten (DSB), der für die betriebliche und behördliche Selbstkontrolle verantwortlich ist. Er passt auf, dass das Datenschutzrecht eingehalten und damit die informationelle Selbstbestimmung der BürgerInnen, deren Daten erfasst und verarbeitet werden, gewährleistet wird. Bereits vor über 40 Jahren war man sich also dessen bewusst, dass es wichtig ist, die Freiheit der Menschen zu achten. Damals war das Thema „Rasterfahndung“ ein wichtiger Punkt, der auch medial diskutiert wurde. In den 1980er Jahren war das „Volkszählungsurteil“ ein weiterer Meilenstein im Bereich Datenschutz. Und das in einer Zeit, in der es alles andere als selbstverständlich war, dass in jedem Haushalt ein Computer vorhanden war!

WARUM DIE ROLLE DES DATENSCHUTZBEAUFTRAGTEN NICHT GESCHMÄLERT WERDEN DARF

Der Datenschutzbeauftragte ist ein wichtiges Instrument, wenn es um die Umsetzung eines herausragenden Bürgerrechtes geht. Er verfügt über Kompetenzen, über die nun mal nicht alle verfügen und übernimmt infolgedessen Verantwortung, die nicht jeder übernehmen kann. Wie zur Hölle ist es möglich, dass einige CDU/CSU- und FDP-Politiker die Rolle des Datenschutzbeauftragten (und damit die Rolle des Bürgerrechts auf informationelle Selbstbestimmung) schmälern wollen, indem sie die Pflicht, ab 10 Mitarbeitern einen Datenschutzbeauftragen benennen zu müssen, aufweichen wollen? Sie forderten bereits im vergangenen Herbst u.a. die Anhebung der Grenze für die Bestellungspflicht eines DSB von 10 auf 50 Mitarbeiter. Unternehmen mit 49 Mitarbeitern sollen also ohne kompetenten Datenschutzbeauftragten das gängige Datenschutzrecht umsetzen. Unternehmer, die auch nur über einen Funken Verstand verfügen, sind sich natürlich dessen bewusst, dass die Umsetzung der DSGVO ohne kompetente und kritische Instanz nicht möglich sein wird, denn dafür ist das Ganze zu komplex. Denn auch wenn kein Datenschutzbeauftragter benannt wird, muss das Datenschutzrecht natürlich trotzdem eingehalten werden. Soll die Lösung des Problems wirklich sein, dass erst ab einem gewissen Punkt hingeschaut werden soll? In diesem Fall muss tatsächlich in Zweifel gezogen werden, dass Politiker, die einen derartigen Schritt in Erwägung ziehen, über ausreichend Sensibilität in puncto Bürgerrechte verfügen, um ihr Amt guten Gewissens ausführen zu können.

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