© Bildagentur PantherMedia  / Iridi

Es ist ja so: Überwachung ist äußerst unangenehm, wird aber in vielen Arbeitskontexten zwangsläufig und zähneknirschend akzeptiert. Arbeitnehmer:innen dauerhaft zu tracken, ist nur in den seltensten Fällen erforderlich. Taucher, die gefährliche Jobs ausführen und Geldtransportfahrer, sollten z.B. ständig im Auge behalten werden, weil es ihrer eigenen Sicherheit dient. Ein Fahrer, der bestelltes Essen ausliefert, läuft im Allgemeinen nicht Gefahr, verlorenzugehen, von einem Hai gefressen oder überfallen zu werden, okay, okay, die Wahrscheinlichkeit eines Überfalls hängt davon ab, welches Essen er im Rucksack hat. Auf alle Fälle ist ein dauerhaftes Tracking bei Pizzaboten nicht wirklich notwendig. Da aber die Möglichkeit besteht, es doch zu tun, nutzen einige Unternehmen diese auch gerne und begründen sie damit, dass es für den „Betriebsablauf erforderlich“ wäre.
Bei Lieferando zum Beispiel, ist es so: Der Kunde ist König und der Rider am Arsch. Schon der Slogan „Zeit, Essen zu bestellen“ deutet darauf hin, dass es um Zeit geht. Wer Hunger hat, will nicht warten. Was uns schon immer im Restaurant genervt hat, wollen wir uns zuhause nicht auch noch antun. Und Lieferando erfüllt uns diesen Wunsch! Unternehmen wie der Essensauslieferungsdienst erwecken beim zahlenden Kunden den Eindruck, dass durch ihre Dienstleistung das Leben einfacher und schöner wird – und für den Kunden stimmt das ja auch, vorausgesetzt er hat das nötige Kleingeld, aber das ist schon immer so. Was das Leben für den einen schöner und einfacher macht, bereitet dem dafür Zuständigen allerdings Stress. Wenn wir als Kunde wissen wollen, wo unser Essen bleibt, können wir das schnell herausfinden, um schon mal planen zu können. Unsere Pizza kommt aber nicht von selbst zu uns gerollt, wie der dicke fette Pfannkuchen im gleichnamigen Märchen, und sie wird auch nicht von einer KI ausgeliefert, sondern von einem Rider, der ständig unter Druck steht.

DER DATENHUNGER DER SCOOBER-KRAKE

Ende Mai hat der BR die Ergebnisse der Recherchen zur Überwachung von Lieferando-Ridern veröffentlicht. Einige Fahrer hatten von ihrem Auskunftsrecht (Art. 15 DSGVO) Gebrauch gemacht. Um es kurz zu machen: Das Ganze wirft kein gutes Licht auf das Unternehmen, das zum niederländischen Konzern Just Eat Takeaway gehört. Pro Lieferung werden 39 Datenpunkte erhoben. Über die App Scoober wird sekundengenau erfasst, wann die Zuteilung einer Bestellung erfolgt und wann diese beim Restaurant abgeholt und beim Kunden ausgeliefert wird. Ist der Rider zu langsam, wird das vermerkt. Etwa alle 15 bis 20 Sekunden wird der genaue Standort des Fahrers übermittelt, so dass sowohl das Unternehmen als auch der Kunde jederzeit Bescheid wissen. Zudem sendet die App auch personenbezogene Daten an Drittanbieter wie Google. Scoober ist eine Datenkrake, die jährlich etwa 100.000 Datenpunkte pro Rider erfasst. Die Daten werden langfristig gespeichert – teilweise ist eine Nachverfolgung bis ins Jahr 2018 möglich.
Dass das in keinem Verhältnis zu der Dienstleistung – wir sprechen hier verdammt nochmal von Essensauslieferungen! – steht, dürfte jedem einigermaßen empathischen Menschen bewusst sein. Aber die Devise „für den Betriebsablauf erforderlich“ wird mittlerweile von den meisten Arbeitnehmer:innen hingenommen. Was sich besonders unangenehm auswirkt, ist die Tatsache, dass Lieferando die Rider offenbar nicht hinreichend über die Verwendung der Daten aufklärt. Das verursacht das ungute Gefühl der Überwachung, die in diesem Fall nicht der Sicherheit, sondern der Kontrolle dient.
Dienstleister wie Lieferando sind die Gewinner der Coronakrise und sie beschäftigen Menschen, die nicht besonders viel verdienen. Das Konzept geht trotzdem auf, weil die Arbeitgeber nun mal am längeren Hebel sitzen. Ungerechtigkeit ist ein strukturelles Problem der Gegenwart, das durch die Pandemie vielfach verstärkt wurde, so wie grundsätzliche Veränderungsdynamiken beschleunigt wurden. 54% Umsatzplus hat der niederländische Konzern Just Eat Takeaway im Jahr 2020 eingefahren – falls die Untersuchungen, die der baden-württembergische Landesdatenschutzbeauftragte Stefan Brink im Mai an die zuständige niederländische Datenschutzbehörde DPA weitergeleitet hat, dazu führen sollten, dass das Vorgehen von Lieferando als grober Verstoß gegen die DSGVO geahndet würde, könnte das zu einer Strafzahlung von bis zu 96 Millionen Euro führen. Angeblich soll die niederländische Datenschutzbehörde aber relativ lax agieren. Ein Schlaraffenland für Datengourmands…

Ähnliche Artikel

Die Datenschutzkolumne...

DIE DSGVO UND DIE WIENER KLINGELSCHILDAFFÄRE Sobald in den Medien über den...

Datenschutzkolumne: Krank in...

Kennen Sie den? Neulich im Wartezimmer. Der Lautsprecher knistert und es folgt eine...

DIE DSGVO – DER...

Das gibt’s doch nicht! Jetzt nimmt die Datenschutz-Grundverordnung unseren Kindern auch...