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Wenn ein Mensch die Möglichkeit hat, die Forschung zu unterstützen, wird er meistens einwilligen. Klar, Forschung ist wichtig und sinnvoll. Wenn ein Mensch dazu gezwungen wird, die Forschung zu unterstützen, wird er gar nichts dazu sagen können, weil er ja nichts zu sagen hat. Wenn es nach Bundesgesundheitsminister Spahn geht, haben manche das Sagen (er) und manche das Schweigen (gesetzlich versicherte Patientinnen und Patienten). Warum sollten die denn auch das Sagen haben? Hätten sie halt Bundesgesundheitsminister werden sollen, dann hätten sie’s!
Man muss nicht Philosophie studiert haben, um zwischen freier Entscheidung und Zwang unterscheiden zu können. Jens Spahn, seines Zeichens Vorreiter christdemokratischer Hauruck-Politik, zeigt wieder mal eindrucksvoll, welche Priorität Volkssouveränität für ihn hat – keine. Das immerhin in unserer Verfassung verankerte Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist, wenn Jens Spahn den Passus im Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG) wie geplant durchbringt, erstmal zweitrangig. Alles für die Forschung!

ALLES FÜR DIE FORSCHUNG

Worum genau geht es? Die Gesundheitsdaten von 73 Millionen gesetzlich versicherten Menschen sollen künftig an den Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV) übermittelt und anschließend pseudonymisiert (Quelle: tagesschau.de) an „Behörden, Forschungseinrichtungen oder Universitätskliniken“ weitergeleitet werden – und zwar ohne jegliche Einwilligung der Betroffenen. Die Industrie wird nicht explizit genannt. Muss sie auch nicht, weil „Forschungseinrichtungen“ natürlich auch von Unternehmen getragene Institute sein können. Aber Hauptsache Forschung! Mensch Leute, der Forschung dürfen wir doch nicht im Weg stehen. Wir leben schließlich im 21. Jahrhundert und nicht Viertel vor Bismarck! Und die Übermittlung von Daten tut doch auch nicht weh. Außerdem soll das Ganze irgendwann (zwar nicht gleich, aber immerhin!) pseudonymisiert werden, was bedeutet, dass da nicht mehr „Peter Müller“ steht, sondern „288126xy93049“ oder so. Da weiß doch dann kein Mensch mehr, dass damit ein 43 Jahre alter Mann aus der Region Ostbayern mit operiertem Meniskus und Alkoholproblem gemeint ist! Ach Moment, doch, das wüsste man natürlich schon, nur, dass er „Peter Müller“ heißt – das nicht! Voll sicher! Pseudonymisiert, aber nicht verschlüsselt. Was soll da schon großartig passieren? Es geht doch um die Forschung! Da sollen die blöden Patienten sich mal nicht so anstellen – kommt ihnen doch letztendlich zugute. Leute, es geht hier doch um „Längsschnittanalysen über längere Zeiträume, Analysen von Behandlungsabläufen oder Analysen des Versorgungsgeschehens“ – dagegen ist doch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein Witz! Mensch, Längsschnittanalysen! Die haben schon so viele Menschenleben gerettet – zum Beispiel die von zahllosen Medizinstudenten, die eine Doktorarbeit schreiben mussten und ein paar schicke Statistiken brauchten, weil sie sonst voll viel mehr schreiben hätten müssen, um auf die richtige Seitenzahl zu kommen.

SPAHNOKRATIE – DIE NEUE HERRSCHAFTSFORM?

Die Gesundheitsdaten von 73 Millionen Menschen zentral gesammelt – das wäre dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) zufolge eine der „umfangreichsten Datensammlungen in der Bundesrepublik“. Fragen des Datenschutzes und der Datensicherheit sind noch nicht geklärt. Aber darum geht’s ja auch gar nicht. Nein, es geht um Sozialforschung. Es wird ja nicht am Patienten geforscht, sondern an den Daten. Und, um es mal überspitzt auszudrücken: Wenn ein Kinderarzt bei all seinen Patienten eine frühkindliche Regulationsstörung diagnostiziert, weil er nun mal mit einer Therapieform sein Geld verdient, die diesen Kindern helfen soll, dann heißt das noch lange nicht, dass das auch immer die wirkliche Ursache ist. Die Datenlage würde aber eindeutig darauf hindeuten, dass in einer bestimmten Region vermehrt Schreikinder geboren werden. Die Häufigkeit von Kaiserschnitten, Hüft- und Meniskus-Ops geben nachweislich keinen zuverlässigen Hinweis auf den tatsächlich vorliegenden Bedarf, sondern vielmehr auf das Vorhandensein von (Spezial)Kliniken vor Ort. Die müssen ja wirtschaftlich sein und Operationen bringen nun mal mehr ein als keine Operationen.
Also, jetzt mal Butter bei die Fische: Natürlich ist Sozialforschung wichtig, ich hab das deshalb sogar studiert. Aber: Ungefragt zum Forschungsobjekt möchte ich trotzdem nicht gemacht werden. Ich kann Forschung total gut finden, aber gleichzeitig gefragt werden wollen, ob und unter welchen Bedingungen ich einen Beitrag dazu leisten möchte. Gesundheitsdaten ohne Einwilligung der Betroffenen zentral zu sammeln und weiterzugeben – das ist keine Angelegenheit, die Jens Spahn im Alleingang zu entscheiden hat, sondern ein ganz schön großes Ding in einer Demokratie.

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