WARUM SASCHA LOBO DEN DATENSCHUTZ GRÜNDLICH MISSVERSTEHT

Es ist ja so: Manchmal suchen wir die Ursachen für ein Problem an einer völlig falschen Stelle. Früher wurden zum Beispiel rothaarige Frauen der Hexerei bezichtigt und zur Verantwortung gezogen, wenn irgendwas Schlimmes passiert war. Heute wissen wir natürlich, dass das Quatsch ist.
Deutschlands Digitalisierungsguru Sascha Lobo, der Coole mit dem lila Iro, bemängelte kürzlich in einem Gespräch mit dem MIT Technology Review die herausragende Rolle des Datenschutzes innerhalb der deutschen „Verhinderungsbürokratie“. Seine Kritik an den Vorgaben des Datenschutzes ging so weit, dass er es schier nicht mehr ertragen konnte, weiter über das leidliche Thema zu sprechen: „Aber lass uns nicht über Datenschutz sprechen, da bin ich einfach gerade etwas wütend.“ Als wäre der Datenschutz schuld an der Verschnarchtheit unserer Verwaltungskultur! Also bitte, das ist so, wie wenn ich sagen würde: Das Strafgesetzbuch verdirbt allen Berufsverbrechern den Spaß an ihrem Job!
Nicht die Gesetze und ihre Durchsetzung tragen die Schuld an der Misere, sondern eine misslungene Gestaltung der Umsetzung. Wir sollten uns Pfandautomaten zum Vorbild nehmen! Da steckt man etwas rein und es blinkt und plinkt und am Ende kriegt man sogar noch etwas dafür. Das ist Gamifizierung im Alltag! Gäbe es das in der Verwaltung, wären alle ganz heiß darauf, den Datenschutz umzusetzen. Aber im Grunde genommen geht es bei der Überbürokratisierung nur marginal um den Datenschutz. Er ist nur ein dankbares Schlagwort, weil wir uns in der Verwaltung an alle möglichen quälenden Dinge schon so sehr gewöhnt haben, dass wir sie uns gar nicht mehr anders vorstellen können. Ich kenne Software, die aussieht wie 1993 und heute noch in Ämtern verwendet wird.
Ein Freund durfte kürzlich einen Betrugsfall recherchieren, mit dem sich die Behörde, in der er beschäftigt ist, herumschlagen musste. Ein externer Dienstleister hatte Leistungen abgerechnet, aber nicht ordnungsgemäß erbracht. Als ich das User Interface der Software, über die die Behörde u.a. mit dem Dienstleister kommunizierte, zu Gesicht bekam, packte mich das kalte Grauen. Eine schier unübersichtliche Folder-Struktur machte es vollkommen unmöglich, sich zu orientieren. So etwas öffnet Betrug natürlich Tür und Tor, weil kein Mensch sich zurechtfindet. Und es macht sicher auch keinen Spaß, Tag für Tag damit zu arbeiten. Und ich frage mich natürlich: Hat Sascha Lobo schon mal ein Praktikum in einer deutschen Behörde gemacht und mit der Software dort gearbeitet? If so, würde er sicher nicht mehr den schwarzen Peter beim Datenschutz suchen.
Warum aber ändern wir nichts daran? Die Devise lautet noch viel zu oft: Never change a running system. Und das ist ein sehr viel größeres Problem als der Datenschutz (der eigentlich eine Lösung ist und kein Problem). Fakt ist: Wir haben in Deutschland so unsere Schwierigkeiten mit Innovationen. Ich erinnere mich noch sehr genau an meinen ehemaligen Wirtschaftsinformatikprofessor, der laut auflachte als ein Kommilitone während eines Seminars zum Thema Transformationsprozesse fragte, wie man einen Vorgesetzten am besten auf eine innovative Idee aufmerksam machen sollte. Professor Z. lachte auf und trompetete: „Das können Sie gleich vergessen, weil der Vorgesetzte dann antworten wird: ‚So ein Schmarrn! Des haben wir allweil so gemacht!‘“
Diese Haltung ist das Problem. Der Datenschutz ist bloß eine vorgeschobene Begründung. Als ich mit acht Jahren auf einem Kindergeburtstag war, ist ein Junge aus Versehen auf einen Amselnestling getreten, der noch einmal laut aufkrächzte und dann starb. Wir verfluchten den Jungen, der das Amselbaby vor unseren Augen plattgemacht hatte. Er aber jammerte nur: „Ich bin nicht auf die Amsel getreten! Wenn ich auf das Schützenfest gegangen wäre, wäre ich nicht auf den scheiß Geburtstag gekommen und nicht auf die scheiß Amsel getreten!“ Das Schützenfest und der „scheiß Geburtstag“ waren nur vorgeschobene Begründungen, Ursache war natürlich Adalberts Dusseligkeit. Natürlich würden einige Dinge ohne Datenschutz nicht passieren (kein Geburtstag, keine plattgetretene Amsel), aber dann wären unsere Persönlichkeitsrechte halt auch nicht anständig geschützt (kein Partyspaß) – und das ist ja auch keine Alternative. Was hätte geholfen? Bessere Aufmerksamkeit durch weniger Cola zum Beispiel!
Um die deutsche „Dysfunktionalität“ in puncto Digitalisierung zu kurieren, bringen uns Schuldzuweisungen wenig. Eine Änderung unserer Haltung und daraus folgend unseres Verhaltens, aber viel. Ein frischer Wind muss durch deutsche Behördenbüros wehen – und der kann durchaus auch vom Datenschutz kommen…

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