Georg Flammersberger von der greenQuality Flammersberger + Färber GbR gibt in unserer Gastbeitragreihe zur Migration des Qualitätsmanagementsystems auf die neue Normenversion 9001:2015 seine wertvolle Erfahrung mit dieser Normenfamilie weiter. Im ersten Teil lag der Fokus auf den Änderungen, die diese mit sich bringt. Heute soll das Augenmerk auf die Neuerungen gelegt werden.

KONTEXT DER ORGANISATION

Im Abschnitt 4.2 steht, dass die Organisation interessierte Parteien identifizieren muss, die für das Qualitätsmanagement relevant sind. Hier wird die Qualität der Leistungserbringung zugrunde gelegt. Das Unternehmen muss folglich die interessierten Parteien identifizieren und definieren, ob sie für die Qualität der Leistungserbringung relevant sind oder nicht. Geht man strikt mit dieser Anforderung um, so müssen folglich zunächst alle interessierten Parteien identifiziert werden und anschließend muss das Unternehmen festlegen, ob sie für die Qualität der Leistungserbringung relevant sind. Wir raten zu einer Mindmap mit allen denkbaren Interessensgruppen und einer anschließenden Bewertung der Relevanz.
In einem hochautomatisierten Betrieb, wie zum Beispiel einer Raffinerie, ist womöglich die Familie des Mitarbeiters keine relevante interessierte Partei. In einem Dienstleistungsunternehmen mit hoher psychischer Belastung, z. B. mit vielen Überstunden, kann dies aber sehr wohl der Fall sein. Im gleichen Betrieb kann z. B. die Gemeinde, in der er angesiedelt ist, eine interessierte Partei sein, die großes Interesse an der Emissionsfreiheit der Produktion hat, während sie bei einem kleinen Dienstleistungsunternehmen, abgesehen von den Steuern und Arbeitsplätzen, womöglich nicht zu den relevanten Parteien gezählt werden muss.
Wir raten dazu, über die Kommunikation im Marketing und alle anderen notwendigen Beziehungsmechanismen im Idealfall alle interessierten Parteien zu berücksichtigen.

RISIKOBASIERTER ANSATZ

Der risikobasierte Ansatz ist neu in der Norm und umfasst gleichermaßen wie die Risiken auch die Chancen. Sie stehen im logischen Zusammenhang mit dem QM-Grundsatz der kontinuierlichen Verbesserung. Die Kontinuität Ihrer Organisation ist nur gewährleistet, wenn sie keinen Gefahren ausgesetzt ist und ihre Chancen nutzt. Auf jede Organisation wirken viele Risiken und Chancen ein. Vorbeugemaßnahmen tauchen nicht mehr explizit in der Norm auf, sondern werden subsummiert unter dem Aspekt des risikobasierten Ansatzes.
Risiken resultieren auch aus dem Kontext der Organisation. So können Gesetzesänderungen gravierende Auswirkungen auf die Organisation haben, z. B. wenn Abgaswerte geändert werden.
Bei der Gestaltung von Prozessen soll grundlegend auf die damit einhergehenden Chancen und Risiken geachtet werden. Es gibt zwei Ansätze, wie die Chancen und Risiken in Ihr Qualitätsmanagement eingearbeitet werden, sofern sie noch nicht berücksichtigt sind:
1. Die Sammlung aller Chancen und Risiken in einer (Excel-) Datei und die regelmäßige Bewertung oder
2. die Erfassung beider beim jeweiligen Prozess
Wir stellen in unserer täglichen Arbeit fest, dass mit Chancen und Risiken erheblich umgegangen wird, wenn sie beim jeweiligen Prozess erfasst und behandelt werden. Dafür gibt es mehrere Gründe, die wichtigsten scheinen zu sein:

  • sie sind dort dokumentiert, wo sie auftreten, nämlich im oder beim Prozess und
  • dort fließen sie aktiver in den Alltag der Organisation ein

PROZESSORIENTIERTER ANSATZ

Warum häufig bei den Neuerungen über den prozessorientierten Ansatz gesprochen wird erschließt sich uns nicht in Gänze. Er wird zwar in Abschnitt 0.3. erläutert, stellt aber keine neue Anforderung dar. Interessant ist aber sehr wohl die Abbildung 1 zu den Prozessen.
Für greenQuality besteht das gesamte Unternehmen aus Prozessen. Alle zertifizierten Unternehmen tragen dieser Einschätzung Rechnung, indem sie eine Prozessliste und Prozesslandkarte abbilden.
Von großer Bedeutung für ein Unternehmen in Hinblick auf die Effizienz im Qualitätsmanagement kann eine Schnittstellenmatrix bezüglich der Prozesse sein. Mit einer solchen Übersicht ist bei Prozessänderungen rasch zu identifizieren, auf welche Schnittstellen geachtet werden muss und alle Betroffenen können rasch ins Veränderungsprojekt integriert werden.
greenQuality organisiert das Qualitätsmanagement immer mit einem Prozessgremium, in dem sich in regelmäßigen Abständen die Prozessverantwortlichen, die Geschäftsleitung und das Qualitätsmanagement trifft. Es tagt auf der Basis des Maßnahmenplans, in dem alle Aktivitäten im Qualitätsmanagement und alle Arbeiten an Prozessen eingetragen sind. So können Schnittstellen optimal von allen Beteiligten ausgestaltet werden und die QM-Dokumentation bleibt immer aktuell, weil das Qualitätsmanagement alle Veränderungen an Prozesse mitbekommt.

FÜHRUNG

Gemäß Abschnitt 5 muss die Oberste Leitung Führung zeigen, indem sie folgende Aspekte belegt:

a)  Sie legt Rechenschaft über die Wirksamkeit des Systems ab (Managementbewertung)
b)  Sie stellt sicher, dass eine Qualitätspolitik vorhanden ist, bekannt und gelebt wird, dass Qualitätsziele für das Qualitätsmanagementsystem definiert sind und dass beides mit dem Kontext der Organisation und den Strategien vereinbar ist (das wäre zum Beispiel nicht gegeben, wenn bei einem Massenproduzenten mit einer Losgröße von 1 Mio. Stück als Qualitätsziel 0 Fehler ausgegeben würden)
c)  Sie stellt sicher, dass die Anforderungen der Norm in der Prozessgestaltung und -umsetzung berücksichtigt werden (Beispiel: Bei Produzenten kann dem Produkt ein Fragebogen beiliegen oder bei einem Dienstleister wird der Kunde regelmäßig durch den Vertrieb oder der Projektleitung zur Zufriedenheit befragt und dies ist im entsprechenden Prozess so dokumentiert).
d)  Sie fördert die risiko- und prozessorientierte Denkweise, in dem sie zum Beispiel auf die Steuerung externer Prozesse oder die Umsetzung von Arbeitsschutzvorkehrungen drängt.
e)  Sie stellt sicher, dass die für den Betrieb des Qualitätsmanagements notwendigen Ressourcen zur Verfügung stehen. Das umfasst Personal, Zeit, Ressourcen, wie zum Beispiel Software, Serverplatz, Zugang zu IT-Systemen, Erlaubnis zur Begehung und zu Gesprächen.
f)  Sie die Wichtigkeit und Bedeutung der Erfüllung der Norm betont, z. B. indem sie das Erreichen von Zielen oder deren Verfehlen auf das Qualitätsmanagement zurückführt.
g)  Sie sicherstellt, dass die Ziele des Qualitätsmanagements erreicht werden. Daraus sollte abgeleitet werden, dass die Zielerreichung nicht nur jährlich im Managementbericht bewertet wird, sondern unterjährig laufend überprüft wird.
h)  Sie Personen einsetzt, die durch ihre Qualifikation zuverlässig zur Wirksamkeit des Systems beitragen. Dazu gehört nicht nur die Kenntnis der Norm, sondern zum Beispiel auch die Fähigkeit zur Herstellung von Konsens zwischen unterschiedlichen Interessengruppen, die Schaffung einer entsprechenden Organisation mit allen Konsequenzen, z. B. die explizite Genehmigung, dass Prozesse gestoppt werden können, wenn sie falsch laufen. Dies ist mit Arbeitsvertrag, Stellenbeschreibung, Ernennungsurkunden gut zu bewerkstelligen. Bezüglich der Stellenbeschreibungen sollte in jeder enthalten sein, dass den Anforderungen des Qualitätsmanagement Rechnung getragen werden muss, auch bei den Führungskräften. Ein interessanter Aspekt kann die Berücksichtigung der Qualitätsanforderungen in expliziten Übertragungen von Unternehmerpflichten an Führungskräfte sein.
i)  Sie Verbesserungen fördert. Das zielt nicht auf Gratifikationen, sondern auf Handeln ab. Der zeitliche Bezug von Veränderungen auf die Notwendigkeit und konsequentes Handeln sind hier von großer Bedeutung.
j)  Sie die Führungskräfte auffordert das Qualitätsmanagement in all ihrem Handeln zu unterstützen (siehe auch Punkt h).

RESSOURCEN

In Abschnitt 7.1 ist nochmals explizit die Bereitstellung der erforderlichen Ressourcen zum Aufbau und Betrieb des Qualitätsmanagementsystems genannt (siehe auch Anforderungen an die Führung Punkt e).
In diesem Abschnitt sind folgende Ressourcen explizit genannt:

a) Personal
b) Infrastruktur
c) Prozessumgebung – Darin wird zwischen drei Faktoren unterschieden:

  1. Soziale Faktoren: ruhig, konfrontationsfrei
  2. Psychische Faktoren: stressfrei, emotional schützend
  3. Physikalische Faktoren: Temperatur, Wärme

d) Ressourcen zur Messung und Überwachung

KOTROLLE EXTERNER PROZESSE

Im Abschnitt 8.4 wird beschrieben, worauf bei externen Prozessen zu achten ist. Zunächst sind folgende drei Aspekte zu beachten:

a) Ein Lieferant stellt Produkte oder Dienstleistungen zur Verfügung, die direkt in das eigene Produkt oder Dienstleistung integriert werden, also klassische Zuliefererteile
b) Ein Lieferant stellt Produkte oder Dienstleistungen direkt dem eigenen Kunden zur Verfügung
c) Ein Prozess oder ein Teilprozess aufgrund einer Entscheidung der Organisation von einem Dritten bereitgestellt wird.

In diesen Fällen muss die Organisation Kriterien definieren, die für die Bewertung der Qualität relevant sind. Dies trifft auf die Lieferantenauswahl, die Leistungsüberwachung (z.B. Wareneingangsprüfung) zu. Bezüglich Art und Umfang muss sie dafür sorgen, dass die Qualität dauerhaft den definierten Anforderungen entspricht. Dem Lieferanten ist zu verdeutlichen, dass der Prozess in der Verantwortung der Organisation resp. des Qualitätsmanagements verbleibt. Sie muss Maßnahmen festlegen, wie die Einhaltung der Qualitätsanforderungen überwacht werden sollen, z. B. durch Stichproben oder Messungen. Darüber hinaus muss sie sich aufzeigen lassen, wie der Lieferant beabsichtigt, die geforderte Leistung gewährleisten zu wollen.
Sie muss die Kriterien und Methoden bekanntgeben, unter welchen Umständen die Anforderungen an die Qualität erfüllt sind und alle Informationen weitergeben, die zur Erfüllung der Anforderungen notwendig sind.

WISSENSMANAGEMENT

Die Organisation muss das Wissen (Abschnitt 7.1.6) das notwendige Wissen bestimmen (identifizieren und beschreiben), um die Prozesse zu betreiben und die Konformität der Produkte und Dienstleistungen zu gewährleisten.
Sie muss gewährleisten, dass dieses Wissen aufrechterhalten wird, z. B. durch Dokumentation, Schulung, Verteilung und Aktualisierung und sie muss bewerkstelligen, dass auch zukünftige Anforderungen mit dem dazu notwendigen Wissen erfüllt werden können.
Der erste Absatz kann noch recht pragmatisch dadurch abgebildet werden, dass alle Aufgaben, Kompetenzen und Skills der Stellenbeschreibungen aggregiert werden (z. B. in einer Wissensmatrix) und ggf. bewertet werden (z. B. mit 1 gut bis drei schlecht). Daraus kann sie ableiten, welche Aktivitäten notwendig sind, um das benötigte Wissen herzustellen. Eventuell fällt bei dieser Vorgehensweise schon auf, welches Wissen in der Organisation womöglich nicht vorhanden ist, obwohl es gebraucht würde. An dieser Stelle schließt sich an notwendiges-implizites Wissen zu erfassen. Implizites Wissen ist Wissen, das in der Organisation und den Mitarbeitern vorhanden ist, ohne dass es beschrieben wäre. Implizites Wissen birgt die Gefahr, dass es verloren geht, wenn einzelne Mitarbeiter die Organisation verlassen. Es sollte also ein Verfahren definiert werden, wie implizites, notwendiges Wissen identifiziert, dokumentiert, archiviert, verteilt und aktualisiert wird.
 

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