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© Bildagentur PantherMedia / ilterriorm
WAS IST SYSTEMRELEVANTER – DESINFEKTIONSMITTEL ODER DESINFORMATIONSINSTRUMENTE?
Die gute Nachricht vorab: Die Rolle von Social Bots wird maßlos überschätzt. Die schlechte Nachricht: Wir Menschen sind selbst dämlich (oder gelangweilt) genug, um unfassbar viel Unsinn zu verbreiten. Und das kann im Zusammenhang mit politischen Inhalten zum Problem werden – gerade jetzt in der Corona-Krise. Nicht nur, weil Unsinn einfach Unsinn ist, sondern weil so richtig kruder Unsinn eine echte Diskussion schlichtweg verhindert und die Spaltung der Gesellschaft vorantreibt. Verschwörungstheorien suggerieren eine klare Einteilung in Gut und Böse. Böse sind „das System“, G5, Echsenmenschen und Bill Gates. Gut ist der Kampf dagegen. Das Problem ist, dass auf diese Weise Lager gebildet werden: „Du findest Gates gut, ich nicht.“ Menschen, die in Gates nicht den Satan sehen, manche Dinge, die er tut aber trotzdem nicht gut finden – und sei es nur Windows -, werden dann in einer Ecke verortet, in der sie eigentlich überhaupt nicht stehen. Spaltung ist so ziemlich das Schlimmste, was einer Gesellschaft passieren kann, denn sie verhindert tatsächlich kritisches Denken. Kritisch denkt übrigens nicht der, der an allem etwas auszusetzen hat (das ist nämlich nur jemand, der an allem etwas auszusetzen hat), sondern derjenige, der auch die eigene Meinung beständig hinterfragt und sich diese Meinung nicht unbedingt dadurch bildet, dass er dem besten Storytelling vertraut. Die Geschichte, dass unterirdisch Kinder eingesperrt werden und eine Art Verjüngungsserum aus ihnen hergestellt wird, ist in puncto Storytelling einfach viel spannender als die Geschichte, dass keine Kinder unterirdisch festgehalten und ausgepresst werden. Wenn ich jemandem erzähle, dass ich neulich beim Joggen umgeknickt bin, weil mich vorher eine Hexe verzaubert hat (ich hab’s wirklich gesehen, ich schwör!), ist das berichtenswerter als „Ich bin neulich beim Joggen umgeknickt, weil… Ja, weil ich blöd aufgetreten bin, Pech hatte und umgeknickt bin!“ No scapegoat, no fun… Ganz klar einen Schuldigen benennen zu können, gibt uns das Gefühl der Kontrolle.
Als Kind war ich mal auf einer Geburtstagsparty. Alles war sehr schön, Kuchen und Limo lecker und dann ist der kleine Thomas beim Fangen spielen auf eine Babyamsel getreten. Die Amsel tschiepte noch einmal laut auf und starb dann. Es war traumatisch. Thomas fing an zu weinen und schrie schließlich das Geburtstagskind, das übrigens auch Thomas hieß, an: „Wenn heute nicht deine scheiß Geburtstagsfeier wäre, dann wäre ich auf das Schützenfest in Alteglofsheim gegangen und dann wäre ich nicht auf die Amsel getreten, du ARSCH! Wegen dir ist jetzt die scheiß Amsel tot!“ Plötzlich war Thomas das Opfer und nicht der Täter, wobei das eigentlich egal ist, weil ja beide Thomas hießen. In so einem Zusammenhang von einem „Täter“ zu sprechen, ist aber auch falsch. Es gibt nämlich nicht nur Opfer und Täter, sondern auch ganz viel Pech und Unfälle. Genauso wie es Glück und glückliche Zufälle gibt. Eine Pandemie ist ganz viel Pech. Damit muss man richtig umgehen. So wie die tote Amsel von Thomas‘ Eltern unter den Hortensien beerdigt wurde, müssen wir jetzt auch handeln: vernünftig, angemessen und respektvoll. Hätte Thomas, der die Amsel zertreten hat, behauptet, dass es keine Amsel gegeben hätte, wäre das weder vernünftig noch angemessen oder respektvoll gewesen. Die kleine Amsel war ja da! Dem Geburtstagskind die Schuld zu geben, war ebenfalls nicht hilfreich und hat in keiner Weise zu einer Lösung beigetragen. Thomas 2 konnte die Amsel ja auch nicht wieder lebendig machen. Es ging dem kleinen Jungen einfach nur darum, die belastende Realität irgendwie zu verdrängen.
WER EINE GESELLSCHAFT SCHWÄCHEN WILL, MUSS NUR FÜR SPALTUNG SORGEN
Thomas Amselmörder und Thomas Geburtstagskind hatten nach der Feier ein nachhaltig gestörtes Verhältnis zueinander. Nie wieder haben die beiden gemeinsam gefeiert. Nach der Grundschule trennten sich ihre Wege. Sie sind nicht einmal auf Facebook befreundet.
Wer Machtinteressen verfolgt, wählt andere Wege als der Zufall. Soziale Netzwerke sind die Kindergeburtstage großer Teile der erwachsenen Bevölkerung: Spannung, Spiel und Schokolade (Likes). Das ist die reinste Dopaminparty! Da will man jeden Tag hin, auch wenn es regelmäßig Streit gibt. Der macht ja auch irgendwie Spaß, wenn man als Sieger daraus hervorgeht. Und darauf hofft man natürlich. Und während Kinder sich in puncto Lieblingsfußballverein oder Lieblingspopstar (heute wohl eher Lieblingsinfluencer) nicht einigen können und abgrenzen müssen, sind es bei Erwachsenen eben politische Diskurse. Wer es jetzt schafft, Massen zu mobilisieren, die durch die Macht des sozialen Beweises für noch mehr Zuspruch sorgen, übt eine Menge Einfluss aus. Wenn auf einem Kindergeburtstag sieben Kinder Bayern München gut finden und einer Werder Bremen, während ein Kind keine Ahnung von Fußball hat – für welchen Verein würde sich das unentschlossene Kind wohl entscheiden, wenn es sich entscheiden sollte? Im Internet funktioniert es ähnlich: Masse ist Macht.
Deshalb gibt es zahlreiche Social Bots, die Inhalte und Seiten liken, Beiträge teilen und teilweise sogar auf Beiträge automatisiert antworten. Automatisierte Accounts sorgen für Reichweite und simulieren Relevanz. Wir stellen uns Social Bots oft als Armeen von Robotern vor, die die Weltherrschaft an sich (beziehungsweise ihren Befehlsgeber) reißen können. So eine Art Sturmtruppler, die durch soziale Netzwerke crawlen und unentschlossene Wähler einfangen, leichtgläubige Menschen in paranoide Spinner verwandeln und Zwietracht säen. Die Vorstellung, dass Desinformation über diverse Bot-Armeen gesteuert wird, ist eine super Geschichte! Fast wie Star Wars, aber mit Likes statt Luke und Wählerstimmen statt „Macht“, was ja im Prinzip identisch ist.
Aber jetzt kommt plötzlich raus: Social Bots spielen in puncto politische Einflussnahme überhaupt keine so große Rolle wie angenommen und Tools wie Botometer, die angeblich zuverlässig die Frage „bot or not“ beantworten sollen, sind in etwa so zuverlässig wie aktuelle Antikörpertests für Corona. Was für eine langweilige Geschichte! Nie im Leben würde ein Roman über eine unzuverlässig arbeitende Software und eine Armee, die nur innerhalb eines relativ begrenzten Raumes agieren kann, ein Bestseller werden. Davor hat man doch keine richtige Angst!
Das Ganze ändert aber leider nichts an der Tatsache, dass Desinformationskampagnen sich zunehmender Beliebtheit erfreuen und eine große Gefahr darstellen. Nur stecken eben seltener Künstliche Intelligenzen dahinter als man meint, was unter anderem damit zusammenhängt, dass natürliche Fabulierfreude einen unschlagbaren Vorteil hat: sie ist zutiefst menschlich. Bots beherrschen einfach kein gutes Storytelling. Was für ein Glück! Allerdings bietet die Technik den modernen Geschichtenerzählern und Stimmenfängern die nötige Infrastruktur und eine Datensammlung, aus der sich ordentlich was rausholen lässt. Damit sind Künstliche Intelligenzen wie die Eltern des Geburtstagskindes: Während der Party haben sie nix zu melden, aber sie sorgen dafür, dass Kuchen und Limo auf dem Tisch stehen, der Rasen gemäht ist und Töpfe und Kochlöffel fürs Topfschlagen bereitliegen – oder sie bezahlen einen externen Dienstleister, der die Kinder zu horrenden Preisen bespaßt. Kurz: Sie sorgen dafür, dass die Party überhaupt steigen kann…
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