WER ELEKTROSTATISCH AUFGELADEN ZUM ARZT GEHT, DROHT, DIE IT LAHMZULEGEN

Es ist ja so: Wenn ich schon jemanden zu seinem Glück zwinge, muss ich auch dafür sorgen, dass diese Sache auch wirklich wichtige Aspekte erfüllt, die man gemeinhin Glück zuschreibt. Grundschulen sind zum Beispiel in der Regel so konstruiert, dass schulpflichtige Kinder einen freundlichen Ort vorfinden, an dem die Bedingungen zum Lernen möglichst gut sind. Wenn wir gezwungen wären, unsere Kinder in dunkle Bunker zu schicken, in denen auch gerne mal das Licht ausfällt, würde uns das ganz schön frustrieren. Und wenn das Glück zum Beispiel darin besteht, die medizinische Patientenversorgung erfolgreich zu digitalisieren, dann sollte die Technik schon zuverlässig funktionieren, zumal Patientendaten besonders sensible Daten sind.
Praxen, die sich nicht an die Telematikinfrastruktur (TI) anschließen ließen, wurden bereits ab Juni 2019 mit Honorarkürzungen von einem Prozent bestraft. Ab März 2020 betrugen die Kürzungen 2,5%. In Zukunft sind Praxen, die nicht angeschlossen sind praktisch handlungsunfähig. Mittlerweile ist der Anschluss Pflicht. Und was bekommt man dafür? Viele neue Möglichkeiten, die die Versorgung der Patient:innen verbessern und den Praxisalltag erleichtern sollten. Was bekommt man noch? Haufenweise Probleme und Fehlermeldungen. 2020 fiel das System sechs Wochen lang vollständig aus und wer einen Blick auf das Fachportal der Gematik, der nationalen Agentur für digitale Medizin, wirft, wird zahlreiche Fehlermeldungen finden, die sich seit Dezember 2021 häufen.
Aktuelles Sorgenkind der TI ist ein Problem mit elektrostatischer Aufladung. „Gelandene“ Patient:innen, deren elektronische Gesundheitskarte (eGK) in den Konnektor gesteckt wird, sorgen immer öfter dafür, dass das Lesegerät und anschließend die Praxis-IT lahmgelegt wird. Was wie ein Aprilscherz klingt, kann u.a. im Ärzteblatt nachgelesen werden. Welche Konsequenzen das für den Praxisalltag hat, kann sich wohl jeder, der schon mal einen Computerabsturz erlebt hat, gut vorstellen. Es kostet Zeit, die man nicht hat, weil ohnehin zeitlich alles eng getaktet ist. Zu einer elektrostatischen Aufladung kann es durch die Beschaffenheit des Fußbodens, durch Kleidungsstücke, durch einen Luftballon oder tausend andere Dinge kommen. Eigentlich sollten teuer gekaufte Hardwarekomponenten das aushalten. Tun sie aber nicht. Stattdessen starten sie neu, wenn sie mit einer elektrostatisch aufgeladenen Karte in Kontakt kommen. Und das zieht gerne mal einen Rattenschwanz an Fehlern hinter sich her. Selbst die Konnektoren des Marktführers CompuGroup Medical hängen sich auf, sobald die Karten von Patient:innen, die nicht perfekt geerdet zum Arzt gehen, mit ihnen in Berührung kommen. Blöd auch, dass CompuGroup Medical immer noch schwer zu erreichen ist, weil sie die Probleme, die ein Ransomwareangriff Ende vergangenen Jahres mit sich brachte, noch nicht gelöst haben. Da brauchen Ärzt:innen gute Copingstrategien oder das richtige Zeug, um Ruhe zu bewahren.
Wie kann es eigentlich sein, dass ausgerechnet in einer derart sensiblen Branche solche peinlichen Pannen an der Tagesordnung stehen? Bei Edeka hängt sich schließlich auch nicht die Kasse auf, wenn ich einen Herzschrittmacher oder ein magnetisches Piercing habe…
In einigen Praxen haben die Mitarbeiter:innen bereits kreative Ideen entwickelt, um das Problem mit der elektrostatischen Ladung zu lösen. Mit Hilfe etwas abenteuerlich, macgyveresk wirkender Konstruktionen, sorgen sie für eine Entladung, bevor die Karte im Konnektor steckt. Das sieht zwar nicht sehr vertrauenswürdig aus, hilft aber. Ein bisschen so, wie wenn man einen neuen Porsche mit Klebeband flicken würde…
Wir können gespannt sein, mit welchen Challenges die Gematik Deutschlands Mediziner:innen in nächster Zeit auf Trab halten wird.

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