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© Bildagentur PantherMedia / RasulovS
Stellen Sie sich vor, Sie durchstöbern in der Arbeit völlig nichtsahnend ein paar interne Dateien, um mal zu gucken, was Sie sich überhaupt ansehen können – und stoßen dabei auf umfangreiche Personalakten von Mitarbeitern, die Sie kennen oder auch nicht kennen. Vielleicht sogar auf ihre eigene. In diesen Akten stehen beileibe nicht nur Stammdaten drin, sondern auch Informationen zu Erkrankungen, Menstruationszyklen, Ehestreitigkeiten, Familienberatungen und Urlaubserlebnissen. Das ist keine Szene aus einem preisgekrönten Film über die Stasi, sondern eine Begebenheit, die sich tatsächlich so zugetragen hat. Im Jahr 2019 in Mittelfranken. Es geht nicht um einen IM, sondern um H&M, in dessen Nürnberger Kundenzentrale offensichtlich über einen längeren Zeitraum hinweg systematisch äußerst sensible Daten von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gesammelt worden sind und einem breiten Mitarbeiterkreis zugänglich waren. Eine ehemalige Angestellte erklärte, dass ein 40 bis 50 Seiten langes Dossier über sie angefertigt worden war. Die Informationen stammten aus Gesprächen, die privat geführt worden waren, zum Beispiel in den Raucherpausen oder zwischendurch, wenn man in Plauderlaune war. Die neue Vorstandsvorsitzende des Konzerns, Helena Helmersson, die vorher u.a. für die „soziale Verantwortung“ im Unternehmen zuständig war, hält sich bedeckt. Sie gibt vor, wenig Ahnung von den Vorkommnissen zu haben. In einem Gespräch mit dem schwedischen Fernsehen (SVT) erklärt sie, dass das alles „sehr unglücklich“ gelaufen wäre und findet, dass Regeln eingehalten werden müssten. Sie findet es außerdem „sehr schwierig, die Sache an sich zu diskutieren“, aber die Regeln seien natürlich „superwichtig“ blablabla, beziehungsweise blåblåblå, wie die Schweden wahrscheinlich sagen würden… Mittlerweile kümmern die Datenschutzbehörden sich um den Fall, denn denen ist es zum Glück wirklich „superwichtig“, dass Regeln eingehalten werden.
ICH WERDE BEWERTET, ALSO BIN ICH
Wer jetzt denkt: ‚Wow, das ist ja heftig! Wie kann ein Unternehmen so mit seinen Mitarbeitern umgehen?‘, kennt vermutlich Zonar nicht. Ortswechsel: Wir reisen von Nürnberg aus in Richtung Nordosten nach Berlin. Dort hat Zalando seinen Sitz. Die machen bekanntlich auch in Mode, haben eine ähnliche Zielgruppe wie H&M und sind auch seeehr neugierig. Deshalb haben sie bereits 2016 (Pilotphase) das „Performance- und Entwicklungstool“ Zonar eingeführt. Von den 14.000 Mitarbeitern nehmen über 5.000 an Zonar teil. Was einem als Selbstoptimierungstool verkauft wird, ist nichts anderes als das, was wir ganz furchtbar finden, wenn die Chinesen es machen: Überwachung und Sanktionierung durch ein Social-Scoring-System. Das „360°-Feedback“ soll Mitarbeiter dabei unterstützen, „ihre Karrieren voranzutreiben und sich mit ihren persönlichen Entwicklungszielen auseinanderzusetzen“ blablabla. So steht es auf der Seite von Zalando. Zonar ist ein umfassendes Bewertungssystem, bei dem sich Mitarbeiter gegenseitig bewerten und damit entscheiden, ob jemand eine Gehaltserhöhung bekommt oder nicht, befördert wird – oder eben nicht. Aus den Bewertungen von Kollegen, Vorgesetzten und aus einer Selbsteinschätzung wird ein Leistungsbericht angefertigt, der anschließend von einem Komitee aus Führungskräften begutachtet wird, die eine Kategorisierung vornehmen. Ist der bewertete Mitarbeiter ein Top-, Good- oder Low-Performer? Top-Performer können natürlich nur ganz wenige sein, weshalb der Rest dann eben Pech hat, nicht befördert oder besser bezahlt wird. Wenn man nicht die Leistung bringt, die die Top-Performer hinlegen, muss man auf Dauer wohl akzeptieren, dass es in puncto Gehalt zu einem Kaufkraftverlust kommt. Tja, Pech! Dumm nur, dass die Sache auch noch auf anonymem Feedback basiert. Wer also einem Kollegen eins reindrücken will, kann das ganz easy machen. Kontrollsysteme, die auf wechselseitiger Bespitzelung basieren, sorgen bestimmt für ein super Arbeitsklima. Zalando findet das alles total fair, weil eben nicht nur Vorgesetzte entscheiden, sondern alle. So muss man es nicht nur den Vorgesetzten recht machen, sondern allen! Kein Problem!
Algorithmisches Management heißt das Ganze. Und mit einer gesunden Feedback-Kultur hat es wenig zu tun, denn 360°-Feedback kann durchaus hilfreich sein – nur müsste es dazu transparent gemacht werden, damit klar wird, wer wen warum wie bewertet hat. Aber anonymes Feedback, das bei einem Komitee landet, ist ein Mittel, um Menschen unter Druck zu setzen und hat mit sinnvoller Kritik nicht viel zu tun.
Wer bei Zonar nicht mitmacht, hat übrigens keine Chance, zum Top-Performer zu avancieren. Pech.
Gut, dass die Angelegenheit juristisch geprüft wird, denn eine Einwilligung in ein Kontrollsystem wie Zonar müsste eigentlich freiwillig sein, was unter den gegebenen Umständen schlichtweg nicht der Fall ist.
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