Was ist eigentlich das Schöne an „Datenschutzirrsinn“-Geschichten?

Es ist ja so: Wir regen uns furchtbar gerne auf. Derzeit zum Beispiel über das 9-Euro-Ticket, weil damit Punker nach Sylt fahren und die mondäne Idylle stören können. Das sei ein Chaos am Pfingstwochenende gewesen, verkündeten zahlreiche Zeitungen online. Und in den Kommentaren entbrannten Diskussionen darüber, ob Punks nun dreckig oder eigentlich besonders authentisch sind, viel netter als „Normalos“. Abgesehen davon ist das Ganze aber ohnehin nur Storytelling, weil es gerade mal 100 Punks gewesen sein sollen, die sich in Westerland volllaufen ließen. Das sind nicht einmal vier Schulklassen. Nicht der Rede wert. Und trotzdem titelten die Zeitungen „Punks und Randständige stürmen Sylt“ und „Punks verunsichern mit Chaos-Gelage“, als wäre Sylt eine Hallig, auf der ein einziges Haus steht, in dem ein altes Ehepaar wohnt…
Wir regen uns wirklich gerne auf. Wenn wir im langweiligen Alltag keine Abenteuer mehr erleben, suchen wir die Aufregung eben medial. In den Kommentarspalten können wir uns in Schlägereien stürzen, ohne einen Zahn dabei zu verlieren oder ein blaues Auge zu riskieren.
Wenn die Medien getitelt hätten: „100 Punks hocken auf Sylter Bürgersteigen und trinken Bier“, wäre das ja keine Berichterstattung wert gewesen. Erst durch die Art des Erzählens wird das Ganze interessant.
Datenschutz wird vorzugsweise im Stile von Schildbürgerstreichen erzählt. Da können wir uns auch so richtig schön aufregen über die „Großkopferten“, die keine Ahnung vom Alltag haben und Vorschriften erlassen, die dümmer nicht sein könnten. Manchmal wird Datenschutz auch kafkaesk erzählt, aber Kafka ist der düstere Cousin der Schildbürger und der kommt nicht ganz so gut bei uns an. Lustig sollte es schon auch sein – und vor allem absurd!
In Hessen trug sich jüngst so ein datenschutzrechtlicher Schildbürgerstreich zu. Die Hessenschau berichtete über einen Vorfall, der doch auch kafkaeske Züge hatte: Über Nacht verschwand im Westen von Frankfurt das Auto einer Frau. Eine richtige Schrottkarre, die unmöglich geklaut worden sein konnte. Es war davon auszugehen, dass das Auto abgeschleppt worden war. Die Frau rief bei der Polizei an – die ist schließlich für Dinge, die verschwunden sind, zuständig. Und dann wurde es absurd: Die Polizei hatte keine Ahnung davon, ob das Auto abgeschleppt wurde, denn einer neuen Regelung des Innenministeriums zufolge, durften Abschleppdienste keine Daten mehr mit Behörden austauschen. Die Polizei durfte also nur noch Bescheid wissen, wenn sie selbst an dem Abschleppvorgang beteiligt war.
Das Problem: Im Prinzip darf jeder ein Auto abschleppen lassen. Normalerweise veranlasst die Polizei den Abschleppvorgang. Aber auch das Ordnungs- und das Straßenverkehrsamt dürfen falsch geparkte Autos abschleppen lassen. Und Privatpersonen oder Unternehmen – die müssen dann aber in Vorleistung gehen und das Abschleppen zunächst selbst bezahlen.
Die Dame, deren Auto über Nacht verschwand, hatte an einer Straße geparkt. In diesem Fall sind Polizei, Ordnungs- und Straßenverkehrsamt zuständig. Dass die Polizei keine Auskunft geben konnte, war also durchaus verwunderlich. Im hessischen Innenministerium hatte man aber zeitweilig beschlossen, dass die Polizei nur Daten erheben dürfte, die „zur Erfüllung ihrer Aufgaben“ benötigt würden. So steht das auch im Hessischen Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (§ 22 Abs.1 HSOG). Das Abschleppen gehörte kurzzeitig wohl nicht dazu… Kommunen sollten sogar eigene Anlaufstellen einrichten, an die Betroffene sich wenden könnten, um herauszufinden, wo ihr Auto steht. Kassel und Fulda hatten das sogar schon gemacht oder waren dabei, dies umzusetzen. Da waren den Verantwortlichen im Ministerium wohl etwas die Pferde durchgegangen. Doch der hessische Amtsschimmel konnte vom Hessischen Rundfunk glücklicherweise eingefangen und gezähmt werden: Nach den Recherchen verkündete ein Sprecher des Innenministeriums: „Die hessische Polizei wird weiterhin in ganz Hessen den Auskunftsbitten der Bürgerinnen und Bürger im Fall einer Abschleppung des eigenen Fahrzeugs nachkommen. Dies gilt, wenn die Abschleppung durch die Polizei selbst veranlasst wurde, aber auch wenn sie von einer kommunalen Ordnungsbehörde veranlasst wurde.“
Es ist also wieder Frieden in Schilda eingekehrt… Aber Moment: Die Hessenschau möchte an der Schildbürgerstory festhalten, denn es heißt: „Allerdings: Die Polizei kann Betroffene weiterhin nicht mehr informieren, wenn andere Unternehmen oder Privatpersonen den Abschlepper beauftragt haben. Dann weiß es nur der Abschlepper und derjenige, der ihn gerufen hat.“
Hier wird so getan, als wäre der Datenschutz trotzdem immer noch schuld daran, dass die Polizei eben nicht in allen Fällen helfen kann. Dabei ist es schon immer so, dass Autos, die z.B. auf Supermarktparkplätzen abgeschleppt werden, nicht bei der Polizei gemeldet werden. Es geht hier ja auch um Privatparkplätze. Oftmals sind dann auch noch mehr oder weniger dubiose Dienstleister wie die „Parkräume KG“ mit im Spiel. Die haben sich auf die Fahnen geschrieben: „Wir befreien Ihre Flächen von Falschparkern!“ Klingt zugegebenermaßen gut, aber in Wirklichkeit handelt es sich um eine Art moderne Raubritter, die horrende Abschleppgebühren einfordern.
Es ist nicht immer der Datenschutz, der an allem schuld ist. Aber wir lesen nun einmal unheimlich gerne Schildbürgerstreiche, weil wir uns dabei selbst wahnsinnig schlau vorkommen können. Wir finden Datenschutz so lange albern, bis wir selbst einmal von einer Panne betroffen sind. Dann heißt es, dass er nicht ordentlich umgesetzt wurde…

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