Stellen Sie sich vor, Sie könnten für kleines Geld einen fleißigen Zwerg kaufen, der sich in ihrer Küche versteckt, so dass Sie ihn gar nicht zu Gesicht bekämen. Der Zwerg würde alles minutiös aufschreiben, was Sie gerne zu sich nehmen. Und basierend auf Ihren Vorlieben, würde er ständig kleine Leckerbissen backen, die nie gleich wären, aber immer lecker. Jedes Mal, wenn Sie den Kühlschrank öffnen würden, stünde eine dieser Köstlichkeiten bereit, so dass Sie irgendwann ständig den Kühlschrank aufreißen würden, weil sie gespannt wären, was der Zwerg wieder Neues gebacken hat. Im Kleingedruckten, das ins Innenfutter der Zwergenmütze eingenäht wäre (und das Sie natürlich nie gelesen hätten) stünde ein Hinweis darauf, dass der Zwerg nicht ganz perfekt wäre und zwei kleine Macken hätte: Erstens, erzählt er jedem, der es wissen will, wie Sie drauf sind (in der Küche kriegt er ja viel mit) und was Sie gerne essen. Und zweitens: Der Zwerg würde, wenn er Lust hätte, mit der Zeit immer mehr Sägemehl (oder Zwergenkacke, das hinge von seinem Charakter ab) für die Zubereitung der Leckereien verwenden, aber das würde Ihnen überhaupt nicht auffallen, weil Sie sich Stück für Stück an den Geschmack gewöhnt und ihn lieben gelernt hätten. Würden Sie diesen Zwerg kaufen? Und wenn es nicht um Essen, sondern um Unterhaltungshäppchen ginge, die täglich in deutlich größerem Umfang als Nahrungsmittel konsumiert werden?

DATENSCHUTZ IST MENSCHENSCHUTZ

Datenschutz klingt nach verstaubten Lochkartenlesegeräten aus den frühen Siebzigern und nach spaßbefreitem Zwangsverhalten paranoider Nerds. Damit kickt das Thema in puncto Coolnessfaktor in etwa in der gleichen Liga wie Buchhaltung und Socken bügeln. Das liegt einerseits daran, dass wir der Meinung sind, dass beim Datenschutz Daten geschützt werden und die sind uns egal, weil sie weder süß aussehen, noch mit uns befreundet sind. „Daten“, das klingt nach verschnarchten Zahlenkolonnen und Zeichenketten – gähn! Dabei geht es beim Datenschutz gar nicht um den Schutz von Daten, sondern um den Schutz von Menschen. Menschen, die sich mit Datenschutz und mit Sicherheit im Netz beschäftigen, setzen sich meistens für Freiheit und Privatheit ein – zwei fundamentale Menschenrechte, die zentral für eine Demokratie und eine moderne Gesellschaft sind. Ein Aspekt, der vor allem eine Rolle spielt, wenn der Datenschutz mangelhaft ist, wird aber oft nur am Rande behandelt oder gleich ganz übersehen: Verhaltensmodifikation, also die gezielte Abänderung von menschlichem Verhalten. Es geht um den Zwerg in unserer Küche, der uns Leckereien in den Kühlschrank stellt.

NETFLIX ALS GLOBAL PLAYER

Warum ist der Streamingdienst Netflix so viel erfolgreicher als Sky Ticket und Co? Ganz einfach, weil er die meisten Daten sammelt und den besten Algorithmus hat. Auf Basis einer genauen Datenanalyse können schließlich eigene Serien produziert werden, die mit Sicherheit ankommen. Wer mitreden können will, muss Netflix haben, denn da kann man die besten Serienstaffeln wegbingen und richtig gute Filme sehen. Und wenn man mit einer Serie durch ist, warten noch eine Menge weitere, die – Überraschung! – genau dem entsprechen, was man gerne guckt. Der Zwerg lässt grüßen…
Netflix ist weltweit erfolgreich. Nach Angaben des Unternehmens selbst, ist es in über 190 Ländern verfügbar. In Nordkorea, Syrien, China und auf der Krim können sich die Menschen allerdings nicht von Marie Kondo erklären lassen, wie Socken richtig gefaltet werden und wie es um die komplizierte Beziehung zwischen uns und jedem einzelnen Gegenstand in unserem Haushalt bestellt ist – dort existiert noch eine netflixfreie Zone.
In Deutschland hat Netflix sogar den Karneval erobert – in Nordrhein-Westfalen, dem Bundesland mit den meisten Karnevalshochburgen, wurde das „House of Cards“-Kostüm am häufigsten gegoogelt. Während Nicht-Netflixer sich den Kopf darüber zerbrachen, warum zur Hölle Salvador Dalí im Karneval mit Overall und Maschinengewehr rumrennt, konnten Netflix-Abonnenten sofort einen Bankräuber aus ihrer Lieblingsserie identifizieren.

NETFLIX GUCKT MIT

Netflix weiß, was wir anklicken, wie lange wir was gucken, wann und wie oft wir wohin vorspulen und auf welche Stoffe wir abfahren. Eigentlich kennt uns der Unterhaltungszwerg noch genauer als ein Essenszwerg uns jemals kennen könnte, denn während wir beim Essen mitunter schon darauf achten, dass wir nicht ausschließlich Junkfood konsumieren, geht es beim Konsum von Filmen und Serien oft darum, sich einfach wegzuschießen, ohne Rücksicht auf geistige Kollateralschäden. Vier Stunden Marie Kondo am Stück, nur um mitreden oder mitlästern zu können, macht was mit uns…
Vor allem aber liefert eine derart minutiöse Protokollierung unserer Nutzungsgewohnheiten Unmengen an Daten, die mitunter ein völlig falsches Bild von uns vermitteln können. Was würden Sie über jemanden denken, der sechs Stunden am Stück eine Serie guckt? Was über jemanden, der mehrere Stunden lang einer Frau dabei zusieht, wie sie fremde Wohnungen aufräumt? Hat jemand, der so etwas guckt, möglicherweise selbst ein Problem damit, Ordnung zu halten, oder ist es vielleicht ein zwanghafter Typ oder doch ein Spanner mit einer Vorliebe für Trash-TV? Wenn wir heimlich mal RTL gucken, kriegt das keiner mit – bei Netflix ist das ganz anders. Und basierend auf diesen Daten, kann Netflix dann neue Serien entwickeln, die perfekt auf die Bedürfnisse verschiedener Zielgruppen zugeschnitten sind. Eigentlich eine tolle Sache, so ein Zwerg, der alles mitkriegt, oder? 30 Tage kann das Kerlchen sogar kostenlos bei einem einziehen – und wenn man sich dann mal an die ganzen leckeren Unterhaltungshäppchen gewöhnt hat, die so perfekt auf die eigenen Vorlieben abgestimmt sind, möchte man es auf keinen Fall wieder gehen lassen und die Kondo-Frage „Does it spark joy to you?“, müssten wir dann zwangsläufig mit „Hell, yeah!!“ beantworten…

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