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Warum Datenschutz nicht nur im Bezug auf personenbezogene Daten eine Rolle spielt
Es ist ja so: Der Mensch ist neugierig wie Sau. Wir möchten immer alles ganz genau wissen, weil es ja sein könnte, dass wir den Kerl kennen, der im Suff in der Fußgängerzone randaliert hat. Von den Medien werden wir mit zahlreichen Informationen versorgt, die überhaupt nicht relevant sind. Zum Beispiel häufen sich zur Zeit die Berichte über die Affenpocken, die in Großbritannien gemeldet wurden. Vom Schundblatt bis zum Wissenschaftsmagazin wird reißerisch getitelt, dass uns die nächste Pandemie ins Haus stünde. Dazu gibt es grauslige Bilder von entstellenden Pocken auf Händen und Leibern. Auf der Hitliste der interessanten Infektionskrankheiten dürften die Affenpocken definitiv in den Top 10 landen. Symptome wie aus dem Gruselkabinett eines Hygienemuseums und ein echt schmissiger Name – da braucht man sich beim Storytelling keine große Mühe mehr geben. Die Affenpocken erzählen sich von selbst. Dass es gerade mal 7 (!) Personen in ganz Großbritannien sind, die sich mit der mild verlaufenden Infektionskrankheit angesteckt haben, spielt bei Schlagzeilen wie „Ausbruch in Großbritannien: Affenpocken verbreiten sich wohl in der Bevölkerung“ (Spektrum der Wissenschaft) keine große Rolle.
Dem RKI wurden in den goldenen Prä-Coronazeiten etwa 10.000 Ausbrüche von Infektionskrankheiten jährlich gemeldet (Quelle: RKI). Wenn über jedes dieser Ausbruchsgeschehen, die nur in den seltensten Fällen relevant sind, in den Medien berichtet würde, würden wir durchdrehen. Aber die Affenpocken, die lassen sich einfach so verdammt gut erzählen!
Was hat das Ganze mit dem Thema Datenschutz zu tun? In dem Artikel in Spektrum der Wissenschaft heißt es: „Alle vier der neuen Infizierten seien homo- oder bisexuelle Männer und hätten sich in London angesteckt, berichtet die UKHSA.“ Das kann einerseits zwar eine wichtige Info für den Leser sein („Ah, Gott sei Dank habe ich mit denen nichts am Hut! Ich bin ja nicht einmal in Großbritannien!“), andererseits stellt sich natürlich die Frage, ob diese Information wirklich relevant ist oder lediglich dazu beiträgt, Ressentiments zu schüren. Liest man die Kommentarspalten, kann man leider eher von Letzterem ausgehen. Ist es bei so wenigen Betroffenen wirklich entscheidend, die sexuelle Orientierung in den Medien breitzutreten? Inwiefern könnte das für die Leserschaft in Deutschland relevant sein? Mal abgesehen vom Kopfkino… Die sexuelle Orientierung zählt nach Artikel 9 EU-DSGVO zu den „besonderen Kategorien personenbezogener Daten“. Eine Rolle spielt das aber eben nur im Bezug auf „personenbezogene Daten“, die sich also tatsächlich auf einzelne natürliche Personen beziehen. Bei einer derart geringen Fallzahl und bisher mangelnder Relevanz für die deutsche Bevölkerung ist es allerdings fraglich, ob die Information überhaupt irgendeine Rolle spielt. Geschichten sind infektiöser als die Affenpocken… Und genau deshalb ist Datenschutz in einer Zeit, in der sich Geschichten innerhalb von wenigen Sekunden über den Globus verbreiten können, so ungeheuer wichtig. Affenpocken heilen nach wenigen Tagen ganz von selbst ab. Der Schaden, der entstehen kann, wenn unsensibel mit Informationen umgegangen wird, ist oft irreversibel.
Datenschutz schützt ganz klar vor Diskriminierung. Das musste auch Google einsehen. 2008 nahm Google Maps historische Karten japanischer Städte in sein Online-Angebot auf. Wenig später wurden bestimmte Kennzeichnungen aus diesen historischen Karten entfernt, da sie zu Diskriminierung führten. Über eine Million Menschen gehören im heutigen Japan zu den Nachfahren der Burakumin-Minderheit, die stets unter enormer Diskriminierung gelitten hat. In alten Zeiten wurden die Burakumin in die Gruppe der „Beschmutzten“ und in die der „Nicht-Menschen“ eingeteilt. Menschen, deren Vorfahren in der Edo-Zeit (1603-1867) in bestimmten Berufen gearbeitet haben (z.B. als Totengräber, Trommelhersteller, Gerber, Schlachter oder Strohsandalenhersteller) oder ein Verbrechen begangen haben, werden noch heute diskriminiert. Wenn also im Stammbaum ein Urahne, der im 17. Jahrhundert Strohsandalen geflochten hat, vorhanden ist, kriegt man im 21. Jahrhundert keinen anständigen Job. Ganz schön unfair! Bis 1976 waren die Register, in denen die Burakumin verzeichnet waren, öffentlich einsehbar (nix mit Datenschutz!). Doch bereits seit 1947 war es verboten, dass Arbeitgeber sich einen Registerauszug zuschicken ließen. Allerdings ist es in den Personalabteilungen großer Unternehmen heute noch üblich, inoffizielle Listen zu führen, in denen die ehemaligen Burakumin-Gebiete verzeichnet sind. Google Maps hat es dann zwischenzeitlich der ganzen Welt ermöglicht, herauszufinden, wo die Angehörigen der geächteten Minderheit lebten. Anhand des Geburtsortes können Menschen dann leicht als Burakumin identifiziert und diskriminiert werden.
Und wer jetzt noch sagt, dass Datenschutz zu weit gehe und überflüssig sei, dem ist wirklich nicht mehr zu helfen…
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